Jahrelang haben sich Rat und Verwaltung im Sparsumpf gesuhlt, Hunderttausende Euro wurden in Berater und Einflüsterer investiert, Ergebnis gleich null. Jetzt muss alles ganz schnell gehen.
Der populistische finanzpolitische Mythos in Hagen geht so: Die Stadt hat jahrzehntelang des Geld aus dem Fenster geschmissen und jetzt haben wir Schulden ohne Ende. Schuld daran ist die SPD und die anderen waren die Guten. War es so?
Natürlich hat sich die Sozialdemokratie dieser Stadt wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Aber die anderen, das waren viele Jahre lang nur CDU und FDP, haben kräftig mitgemacht. Man war einvernehmlich stolz darauf, Geld zu versenken – nur hat man es nicht so genannt. Die Pöstchen wurden (und werden immer noch) in bestem Benehmen untereinander aufgeteilt, die Tantiemen für Funktionäre regelmäßig im Einvernehmen aufgestockt. Ein bisschen Widerstand gehört dabei durchaus zur Folklore, man will ja gegenüber den Bürgern „glaubwürdig“ erscheinen.
So lebten alle glücklich und zufrieden, Parteifreunde konnten bedacht werden und der Haushalt war trotz einem (aus heutiger Sicht: geringem) Defizit halbwegs beherrschbar.
Der Beginn der wirklich relevanten finanziellen Probleme lässt sich Anfang des Jahrtausends verorten. Bis dahin gab es eben auch Schulden, die allerdings im wesentlichen aus Investitionskrediten bestanden. Geliehenem Geld standen also gleichwertige Sachwerte gegenüber, Baumaßnahmen und ähnliches.
Das änderte sich ab dem Jahr 2000 rapide. Bemerkenswert dabei ist die auffällige Korrelation mit den Steuerreformen der rot-grünen Regierung unter Führung des Kanzlers Gerhard Schröder, die zu massiven Einnahmeverlusten auch der Städte und Gemeinden führten. Ab diesem Zeitpunkt begann der Abstieg vieler Kommunen, darunter eben auch Hagens.
2003 überstiegen die Kassenkredite – so wird die Kontoüberziehung bei Kommunen genannt – erstmals die Investitionskredite. Bewegten sich die „überzogenen“ Beträgen in den Jahren 1997 bis 2000 noch im zweistelligen Millionenbereich, liegen sie inzwischen bei 1,3 Milliarden Euro.
Um diesem Missstand entgegen zu steuern, wurde die Parole ausgegeben: „Sparen“. Da nur Überschüsse zu sparen sind, nicht aber Defizite, hätten unsere Volksvertreter sofort „Halt“ rufen müssen. Haben sie aber nicht. Entweder weil sie das Spiel nicht durchschaut haben, oder weil sie sich mehr ihren jeweiligen Parteizentralen verpflichtet fühlten als ihren Wählern, deren Interessen sie eigentlich vertreten sollten.
Es war die Hochzeit der Ideologie des Neoliberalismus, dem viele Mandatsträger trotz des krachenden Scheitern dieses Konstrukts in der Weltwirtschaftskrise immer noch blind folgen. Das Dogma lautete (und in Hagener Ratskreisen ist es immer noch gegenwärtig): Wir haben ein Ausgabenproblem.
Andere waren da weitsichtiger: Zum Beispiel die damalige Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, immerhin Mitglied der CDU. Die wies bereits im Jahre 2002 als Präsidentin des Deutschen Städtetags auf die katastrophale Haushaltslage der Kommunen hin und benannte deren Ursache. Verantwortlich seien nicht die Ausgaben, sondern die weiter rückläufigen Einnahmen.
Anstatt schon damals mit allem im Interesse der Hagener gebotenen Nachdruck in Berlin eine verbesserte Einnahmesituation einzufordern, gingen die Hagener Apparatschicks ihren gewohnten Weg. Sie wollten solche Befunde wie die von Roth nicht zur Kenntnis nehmen (die meisten konnten es wahrscheinlich gar nicht) und bestellten stattdessen den sogenannten Mentor.
Der war in der Analyse der Situation gar nicht schlecht. So stellte Mentor Bajohr fest, dass Hagen „infolge der steuerrechtlichen Weichenstellungen auf Bundesebene vom konjunkturellen Aufschwung“ abgekoppelt wurde. Und weiter: „Solange es sich nicht herumspricht, dass das Zahlen von Steuern kein Opfergang ist, sondern ein notwendiger Beitrag zur Bewahrung eines funktionsfähigen Gemeinwesens, so lange ist ein Kurswechsel nicht absehbar.“
Zu den daraus eigentlich zu folgernden Konsequenzen konnte (oder besser: durfte) sich Bajohr dann nicht durchringen: Bei den Verantwortlichen in Land und Bund richtig auf den Busch zu klopfen. Stattdessen legte er einen umfangreichen Katalog mit Kürzungsmaßnahmen vor, von denen der überwiegende Teil vom Rat durchgewunken wurde.
Das war 2008. Damals hieß der Herr über die Kommunalaufsicht noch Helmut Diegel und der Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (beide CDU). Die Namen haben sich inzwischen geändert, die Parteizugehörigkeiten auch – die Probleme sind geblieben. Verschärft hat sich aber das Tempo.
Seit dem ersten Auftritt Bajohrs auf der Hagener Bühne sind jetzt fünf Jahre vergangen. Was ist in diesem Zeitraum in Richtung einer Stabilisierung der Finanzsituation der Stadt erreicht worden? Wenig. Ratsmehrheit und Verwaltungsspitze gaben und geben sich noch immer der Illusion hin, die Konsolidierung des Haushalts über „Sparen“ hinzubekommen.
„Sparen“ auf Hagener Art und Weise bedeutet, mit Kürzungen einerseits Strukturen zu zerstören, andererseits aber nur sehr begrenzte Effekte für den Haushalt zu erzielen. Beispiel: Mentor Bajohr empfahl in seinem „Sparpaket 1“ u.a., den Zuschuss für die Hagener Straßenbahn um 2 Millionen Euro zu kürzen, was der Rat dann auch so beschlossen hat. Seitdem fahren die Busse in der „Großstadt“ Hagen auch auf Hauptstrecken zeitweise nur noch stündlich. Das strukturelle Defizit wurde durch diese Maßnahme gerade einmal um 1,7 Prozent verringert.
Was hat eigentlich der Herr Bundestagsabgeordnete in den ganzen Jahren diesbezüglich für seine Heimatstadt getan? Wo und wann sind die Hagener Vertreter im Landtag tätig geworden? Sie hätten eigentlich leicht Verbündete finden können, steht diese Kommune mit ihren Problemen doch nicht allein da.
So gingen die Jahre mit einer Mischung aus Fahren in die falsche Richtung und Untätigkeit ins Land. Inzwischen sind neue Löcher aufgetaucht: Durch wegbrechende Gewerbesteuern und geringere Schlüsselzuweisungen des Landes fehlen weitere 25 Millionen Euro.
Jetzt aber soll in einem atemberaubenden Tempo tabula rasa gemacht werden. Für den 29. November ist eine Sondersitzung des Stadtrats anberaumt worden, in dem die brachialen Einschnitte vorbereitet werden sollen, die dann in einer weiteren außerordentlichen Ratssitzung Anfang Dezember zur Beschlussfassung vorgesehen sind.
Wie es dabei so zugeht, lässt sich schon aus der Tatsache erkennen, dass relevante Informationen den Ratsmitgliedern erst am Tag vor der letzten Ratssitzung am 15. November zugestellt wurden. Das Thema kam überhaupt nur auf die Tagesordnung, weil der Ältestenrat an dieser Stelle Druck auf die Verwaltungsspitze ausgeübt hat.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Jahrelang wurden die Ursachen der Hagener Finanzmisere nicht zur Kenntnis genommen – und mehr noch: geleugnet. Anstatt die falsche Medizin abzusetzen, wird die Dosis erhöht.
Jetzt sollen Entscheidungen im Schweinsgalopp herbeigeführt werden, wobei die Ratsmitglieder noch nicht einmal Zeit haben, die entsprechenden Vorlagen zu lesen. Ob sie allerdings – wenn sie diese Zeit hätten – die richtigen Konsequenzen daraus ziehen würden, steht auf einem ganz anderen Blatt.
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