Oder: Setzen! Sechs! – in Sachen Solidarität
von Christoph Rösner
Am 26. März brodelte es im Schulausschuss. Was war geschehen? Ein von allen Hagener Gymnasien vereinbarter Konsens, der eine solidarische Verteilung abzuweisender Schüler*innen auf alle Hagener Gymnasien beinhaltete, wurde mit einer 9 zu 7 Mehrheit gekippt – oder knapper: geltendes Recht wurde gebrochen.
Im Jahr 2000 hatte der Rat der Stadt Hagen die Zweizügigkeit für das Albrecht Dürer-Gymnasium (AD) beschlossen.
Das AD hatte, entgegen allen Absprachen, im vergangenen Jahr jedoch aggressiv an Hagener Grundschulen für sich geworben.
Ergebnis dieser schulischen Werbekampagne: 110 Anmeldungen und ein Überhang von 50. Zum Vergleich: in 2018 verzeichnete das AD mickrige 35 Anmeldungen.
Usus ist die solidarische Weiterverteilung an alle anderen Hagener Gymnasien. Das AD allerdings sah sich an diese Weisung nicht länger gebunden. Eine Extrawurst musste her. Warum auch nicht. Eine selbsternannte Elitenklitsche mit Helikopterparkplätzen, die ohne Rücksicht auf festgelegte Richtgrößen von 29 Kindern pro Klasse bis zu 35 Kinder in einen Klassenverband pfercht, braucht sich nicht an Absprachen und Gesetze zu halten. Und selbstverständlich fällt es da auch nicht ins Gewicht, wenn hier und da schon mal ein Kind mit nur eingeschränkter Gymnasialempfehlung die Pferche bevölkert.
Von dieser solidarischen Regelung hatte das AD im vergangenen Jahr durchaus noch profitiert, konnte es doch nur dank der Anmeldungsüberhänge von Fichte, THG und CRG seine Zweizügigkeit überhaupt erhalten.
Bernhard Scheideler, Leiter des AD, kann „den Zorn seiner Kollegen überhaupt nicht verstehen.“
Von seinem Zorn will Arne Hennemann, Leiter des Fichte-Gymnasiums dezidiert nicht sprechen. „Ich habe das Vorgehen im Schulausschuss beobachtet, und wir beobachten die weitere Entwicklung und die politischen Entscheidungen selbstverständlich weiter.“ Und Hennemann weiter im Telefoninterview: „Jedes abgelehnte Kind ist ein Kind zu viel. Aber wir haben den Beratungsprozess völlig transparent auf allen Ebenen gewährleistet. Bei Elternabenden, beim Tag der offenen Tür, immer konnten sich die Eltern abgelehnter Kinder auf unsere begleitende Beratung – auch nach der Ablehnung – verlassen. Außerdem stehe ich für jeden Dialog mit der Politik und der Verwaltung zur Verfügung. Das entspricht unserem demokratischen Selbstverständnis.“
Allerdings, und hier erahnen wir die innere Haltung des auf Ruhe und Konsens bedachten Schulleiters Hennemann, „müsste das Regelwerk im Umgang untereinander dringend einer Neu-Kalibrierung unterzogen werden.“
Dies lassen wir so stehen und wenden uns einem anderen Unding in diesem Schulausschuss zu. Man muss hier tatsächlich die Frage stellen: Ist die Allianz der Vernunft am Ende?
Die zweite Frage folgt auf dem Fuße? Ja und?
Jeder weiß, dass man mit Schulpolitik die einen auf den Baum oder wahlweise auf die Palme, die anderen in die Schmollecke treiben kann. Auf kaum einem anderen Feld als dem der Schulpolitik kann man so wunderbar polarisieren und die Leute zur Weißglut treiben.
Eine gute und eine schlechte Nachricht. Die Gute zuerst:
Grüne und SPD haben gemeinsam gegen die Aufweichung von Gesetzen und gegen die unbotmäßige Extrawurst für das AD gestimmt. Ein mehr als löbliches Verhalten, zeigt es doch, dass, wenn´s drauf ankommt, sich die Richtigen im Kampf gegen undemokratische Umtriebe zusammenfinden.
Nicole Pfefferer, Fraktionssprecherin der Grünen im Rat hierzu sehr treffend: „Statt mit anderen Schulen das gleiche Verteilungsverfahren zu praktizieren, von dem man noch im Vorjahr selbst profitierte, wird jetzt mit lautstarker Lobbyarbeit eine Zügigkeitserweiterung durchgedrückt. Begründet wird dies mit dem Elternwillen, der beim AD offensichtlich wichtiger ist als bei anderen Schulen in Hagen: Denn für die 30 Kinder, die das Fichte-Gymnasium aktuell abweisen muss, kommt niemand auf die Idee, mehr Plätze einzurichten.“
Und jetzt die schlechte(n) Nachricht(en): Wegen Befangenheit hätte sich das Ausschussmitglied mit Stimmrecht für die Linken, Ursula Bartscher, vertreten lassen sollen, da sie selbst ein Kind auf dem AD hat – das Wohlwollen ist hier schon arg begrenzt. Aber dass die CDU, die putzig kleine FDP, Hagen Aktiv und Bürger für Hohenlimburg/Piraten (noch putziger) inzwischen dankend hinnehmen, dass sich die AfD als Mehrheitsbeschafferin anwanzen darf, ist schlicht erschütternd.
Dass Antragstellerin Katja Graf, Mitglied der putzigen Liberalen, selbst langjährige Elternpflegschaftsvorsitzende am AD war, sei hier nur am Rande erwähnt.
In jedem Fall hat die Entscheidung im Schulausschuss am Dienstag zu einigen Verwerfungen geführt, wie Michael Pütz, Leiter des Christian-Rohlfs-Gymnasiums und Sprecher der Hagener Gymnasien der Westfalenpost sagte: „Ein Anmeldeverfahren sollte in geordneten Bahnen verlaufen. Die Ausnahmegenehmigung für das AD führt dagegen zu Verwerfungen.“
Auch Nicole Pfefferer ist erbost:“ Es ist zu hoffen, dass die Aufsichtsbehörde in Arnsberg dieser Willkür des örtlichen Schulträgers rasch einen Riegel vorschiebt.“
Und sie gibt weiterhin zu bedenken: „Ganz zu schweigen von den über 100 Elternpaaren, die ihr Kind nicht an einer der drei Gesamtschulen anmelden können. Deren Elternwillen spielt seit Jahren nicht die geringste Rolle für die politischen Entscheidungsträger, die jetzt aber dem Albrecht-Dürer-Gymnasium bereitwillig eine Sonderlocke drehen. Einige sind eben gleicher.“
Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Der Beschluss des Schulausschusses Hagen in Sachen dritte Eingangsklasse am AD ist nicht bindend. Der Rat muss am 4. April entscheiden.
Und hier könnte Historisches passieren. Nehmen wir an, die öffentliche Diskussion hätte bis dahin bei dem einen oder der anderen derart heftige Bauchschmerzen ausgelöst, dass er oder sie das Abstimmungsverhalten ändert, dann könnte es geschehen, dass in der Abstimmung ein Patt zustande käme. Was dann? Dann, ja dann könnte unser aller OB von seinem Recht Gebrauch machen, die Entscheidung mit seiner Stimme herbeizuführen, und er könnte, so er denn sich der Brisanz der Lage bewusst wäre, seine Stimme gegen derlei schamlose Klientelpolitik erheben und dem Recht wieder zu Rang und Geltung verhelfen.
Um es mit Arne Hennemann zu sagen – wir beobachten weiter, und wir erinnern uns der Forderung der Grünen zur Einrichtung einer vierten Gesamtschule in Hagen. Die Gebäude in Hohenlimburg sind vorhanden, und der Elternwille ist stark … ach bevor ich´s vergesse: für alle, die das nicht wissen: an der Gesamtschule kann man Abitur machen.