Fastfood ist nicht unbedingt jedermanns Vorliebe. Während es heutzutage möglich ist, anspruchsvollere Leckereien in Bioläden oder selbst in Supermärkten oder bei Discountern zu erwerben, war der Genießer vor Jahren auf Feinkostgeschäfte angewiesen – zu entsprechenden Preisen. Eine solche Adresse war Scherney in der Elberfelder Str. 20.
Das ist lange her, aber heute residiert dort wieder eine Einrichtung, die sich als Kontrastprogramm vom Üblichen versteht. Diesmal nicht im kulinarischen, sondern im politischen Sinne. In dem Haus gegenüber des Kaufhofs befindet sich nämlich die Zentrale der Wählergemeinschaft Hagen Aktiv.
War diese Gruppe in der vergangenen Wahlperiode nur mit einem Sitz im Rat vertreten, hat sie sich mit viel öffentlicher Präsenz nach oben gearbeitet. Jede Woche mit einem Infostand im Stadtzentrum aufzutreten, ist zweifellos eine nicht zu unterschätzende Leistung. Und dabei Themen zu setzen, ist ebenso respektabel.
Die Mühe hat sich dann auch entsprechend ausgezahlt: Bei den Kommunalwahlen Ende August 2009 erzielte Hagen Aktiv den höchsten Zuwachs aller angetretenen Gruppierungen (+ 5,4%) und zog mit fünf Vertretern in den Hagener Rat ein. Daneben ist die Gruppe in allen Bezirksvertretungen präsent.
Jetzt zeigt sich, dass schnelles Wachstum auch seine Schattenseiten hat. Wahlerfolge zu haben, ist schön und gut – eine erfolgreiche Politik muss aber auch personell ausreichend unterfüttert sein. Dieses Problem haben natürlich auch die etablierten Kräfte – was haben beispielsweise SPD und CDU in Hagen schon im Angebot? Umso dringlicher ist es für Wahlalternativen, entsprechende personelle Kapazitäten zu generieren.
Schließlich landen eine Woche vor der jeweiligen Ratssitzung ganze Berge von Papier auf dem Tisch der Volksvertreter, die ihre Mandate in der Regel neben ihrer Berufstätigkeit ausüben. Die Dezember-Sitzung enthielt allein im öffentlichen Teil über 50 Tagesordnungspunkte der Verwaltung, der schon lange unterstellt wird, mit Kalkül die Sitzungen zu überfüllen, um sich so taktische Vorteile zu verschaffen.
Bei Hagen Aktiv scheint es bei der Bearbeitung der Politikpunkte zur Zeit nicht optimal zu laufen. Das äußert sich ausgerechnet beim zentralen Thema der städtischen Finanzen, genauer gesagt bei der Kürzungspolitik des Oberbürgermeisters Jörg Dehm (CDU). Ergebnis ist eine reichlich konfuse Argumentation der „Aktiven“.
Deren Fraktion teilte am 7. Dezember mit: „Die Gesamtsumme der Maßnahmen, die wir davon mittragen können, beläuft sich auf rund 52 Millionen €. 18,4 Millionen € an Kürzungen werden wir nicht mittragen, zumal lokale Strukturen zerstört würden. Insbesondere Kürzungen in den Bereichen Jugend & Soziales, Bildung sowie bei den kommunalen Demokratiestrukturen können wir nicht zustimmen. Weiterhin sehen wir keine Möglichkeit bei den Kulturzentren weitere Einsparungen vorzunehmen. (…) Der bereits beschlossene und umgesetzte Punkt zur Reduktion des ÖPNV in Hagen ist zurückzunehmen.“
Soweit – so eindeutig. Die Zusammensetzung der 52 Mio. € war der Pressemitteilung zwar nicht zu entnehmen, aber der Text beschreibt eindeutig diejenigen Bereiche, in denen nach Ansicht von Hagen Aktiv nicht gekürzt werden dürfe.
Einen Tag vor der Ratssitzung am 16. Dezember reicht dann Hagen Aktiv einen Änderungsantrag zum Tagesordnungspunkt 5.13 ein, der sich mit den Kürzungen beschäftigen sollte. In diesem Antrag formuliert die Fraktion das Gegenteil dessen, was sie bisher gefordert hatte: „Teil A des Haushaltssicherungskonzepts, der bereits in einem demokratischen Beschlussverfahren vor unserer Fraktionstätigkeit verabschiedet worden ist, werden wir in unserer jetzigen Verantwortung für die Stadt Hagen, also für die Bürgerinnen und Bürger, wohlwollend zur Kenntnis nehmen.“
Dieser Teil A, den Hagen Aktiv jetzt „wohlwollend zur Kenntnis“ nimmt, beinhaltet genau die Maßnahmen, gegen die die Fraktion im Vorfeld angegangen war. Sie hatte beispielsweise 7000 Unterschriften für die Rücknahme der Kürzungen beim Busverkehr gesammelt, diese sowohl im Beschwerde- als auch im Stadtentwicklungsausschuß präsentiert und sich in beiden Fällen eine Abfuhr von der Mehrheit der Ausschussmitglieder geholt.
Wenn eine Fraktion – wie in diesem Fall – Kürzungen, die sie politisch (aus guten Gründen) ablehnt, plötzlich „wohlwollend zur Kenntnis“ nimmt, ist ein solches Verhalten rational nicht mehr nachzuvollziehen.
Aber es kommt noch besser, denn jetzt folgt die nächste Volte.
Direkt im nachfolgenden Satz ihres Antrags machen die Hagen-Aktiven die Rolle rückwärts: „Wir weisen jedoch explizit darauf hin, dass wir einem Teil dieses Pakets durch unseren damaligen Einzelvertreter im Rat, Herrn Dr. Bücker, nicht zugestimmt haben und nun auch als Fraktion nicht zustimmen würden. Beispielhaft möchten wir die Erhöhung der Gewerbesteuer nennen, der wir schon zum damaligen Zeitpunkt nicht zugestimmt haben. Auch den aktuellen Beschluss zur weiteren Erhöhung können wir nicht mittragen. Gleiches gilt für die Verringerung der Mietzuschüsse für die Büchereizweigstellen Haspe und Hohenlimburg, die zwangsläufig Auswirkung auf deren Fortbestand haben werden und ggf. zu deren Schließungen führen könnten. Schließlich hielten und halten wir Kürzungen im Bereich des Hagener Busliniennetzes für grundsätzlich falsch.“
Die Verwirrung wird komplett durch das in einer Anlage dem Änderungsantrag beigelegte „Maßnahmenpaket“, in dem genau die Kürzungsobjekte, denen Hagen Aktiv nicht zustimmen will, wieder aufgelistet sind, u. a. unter Position 243 die „Reduzierung Liniennetz Hagener Straßenbahn AG“. Auch die geplanten Kürzungen im Bereich der Büchereizweigstellen finden sich dort wieder.
In der Kurzfassung ergibt sich folgendes Bild: 1. „Können wir nicht zustimmen“, 2. „Werden wir wohlwollend zur Kenntnis nehmen“, 3. „Halten wir für grundsätzlich falsch“ und 4. taucht das „grundsätzlich Falsche“ im eigenen Katalog wieder auf.
DOPPELWACHOLDER.DE hatte den Fraktionsvorsitzenden von Hagen Aktiv um eine Stellungnahme zu diesen Vorgängen gebeten, der hielt es aber offensichtlich nicht für opportun, eine Erklärung abzugeben. Stattdessen hält er uns in einem Beitrag im Forum von Hagen Aktiv vor, wir hätten den Antrag nicht verstanden. Das ist richtig – den haben wir wirklich nicht verstanden, auch nach mehrmaligem Lesen nicht.
Auch folgendes in dem Forenbeitrag haben wir nicht verstanden: „Wenn wir jetzt im Rat – in Bezug auf unseren Busantrag also als vorab zu sehen – den alten Beschluss zur Kenntnisnahme mit in unsere Liste aufnehmen, dann unter dem Vorbehalt – und das hätten wir in unserer dazu vorbereiteten Rede zum eingereichten Hagen Aktiv-Sparpaket klar gestellt -, dass wir dazu gleichzeitig einen Rücknahmebeschluss gestellt haben: Man kann doch nicht etwas, das es gar nicht gibt, zurückfordern. Oder?“
Aber ob wir diese Vorgehensweise verstanden haben oder nicht, ist nicht von Belang. Ob sie außer Dr. Josef Bücker überhaupt noch jemand verstanden hat, ist allerdings schon von Interesse. Daß die Wählerschaft von Hagen Aktiv diesem Vorgehen über Kreuz und doppelte Bande und zurück ins Knie noch folgen kann, ist stark zu bezweifeln. Eine innere Logik ist jedenfalls nicht zu erkennen.
Das ist schade, ist es doch nötiger denn je, oppositionelle Kräfte im Hagener Rat zu stärken, wo immer es geht. Wenn diese sich selbst ein Bein stellen – umso schlimmer. Ergebnis wäre das gewohnte politische Fastfood in Hagen, das erst angerichtet und anschließend ausgesessen wird.
Wenn es so weit kommen sollte, hätten die „Aktiven“ eine Alternative: Sie könnten in der Elberfelder Str. 20 den Feinkostladen reaktivieren. Denn Fastfood haben wir in dieser Stadt – nicht nur im Rat – schon genug.
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