Vor 80 Jahren wurde am Stadttheater Hagen ein Stück von Herbert Reinecker aufgeführt
Rezension in der Hagener Zeitung vom 20. Feb. 1943. Screenshot: DW. (Vergrößerte Darstellung in neuem Fenster: Bild anklicken)
Drehbücher für Krimiserien wie „Der Kommissar“ oder „Derrick“ mit seinen unvergesslichen Dialogen – damit wurde Herbert Reinecker berühmt. Aber der 1914 in Hagen-Wehringhausen geborene Autor hatte auch eine Vorgeschichte, die er zwar nie geleugnet haben soll, aber doch wohl vielen Hagenern nicht bekannt sein dürfte.
Heute vor genau 80 Jahren, am 20. Feb. 1943, erschien in der damaligen Hagener Zeitung ein Bericht über das zuvor am Hagener Stadttheater aufgeführte Schauspiel „Das Dorf bei Odessa“ des späteren „Derrick“-Erfinders.
Das Blut-und-Boden-Drama avancierte zu Reineckers erfolgreichstem Stück während der Zeit des Dritten Reiches. Reinecker schildert in dem Schauspiel die Situation einer deutschstämmigen Dorfbevölkerung in der Ukraine eine Nacht vor dem für sie erlösenden Angriff der deutschen Truppen.
Als nach der deutschen Niederlage bei Stalingrad Stücke mit „Russland-Bezug“ verboten waren, wurde Reineckers „Dorf bei Odessa“ ausdrücklich von diesem Verdikt ausgenommen. Die Gründe lassen sich leicht aus der Rezension in der Hagener Zeitung erahnen.
„Aus dem Erlebnis der Heimkehr volksdeutscher, seit mehreren Generationen am Schwarzen Meer ansässiger Schwaben in die großdeutsche Volksgemeinschaft erwuchs dem SS-Kriegsberichterstatter (Anm. DW: Reinecker) das Schauspiel.“ Da erwacht „die Stimme des ererbten deutschen Blutes“, ein Martin erkennt die Notwendigkeit seines Opfertodes und dann rücken die deutschen Truppen ein: „Das Dorf ist gerettet.“
„Elementar wie der Tag aus der Nacht erwächst, erwächst deutsches Fühlen“, schwärmt der Rezensent, der passenderweise den Vornamen Adolf trägt, „deutsches Blut“ bewähre sich „im opferbereiten Handeln für die Gemeinschaft“.
Schauspiel-Verfasser Reinecker wird eine Aussage aus der Nachkriegszeit (!) zugeschrieben, er habe etwas „von der Gewalt der Rasse“ gespürt. „Wenn ich mein Schauspiel selbst bezeichnen soll, würde ich es nennen: eine ,Handlung um den unerschütterlichen deutschen Lebenswillen‘.“
Herbert Reinecker wurde bereits als Gymnasiast im April 1932 Mitglied der Hitlerjugend. 1935 legte er sein Abitur ab und wurde danach Chefredakteur der von der HJ-Gebietsführung Westfalen und dem Landesjugendamt gemeinsam herausgegebenen Zeitschrift Unsere Fahne in Münster. Ab April 1935 arbeitete Reinecker hauptamtlich im Presse- und Propagandaamt der Reichsjugendführung.
Im Januar 1936 wurde er Hauptschriftleiter der HJ-Reichszeitschrift Der Pimpf, die sich an Mitglieder des Jungvolks richtete. Vom selben Jahr an veröffentlichte er propagandistische Jugendbücher, ab 1939 auch Romane und Erzählungen. Sein Werk Der Mann mit der Geige (1939) wurde 1942 unter dem Titel Der Fall Rainer verfilmt.
Im Zweiten Weltkrieg war Reinecker als Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie der Waffen-SS in Rumänien, Russland, Flandern und Pommern im Einsatz. 1942 wurde er auch Hauptschriftleiter der HJ-Zeitschrift Junge Welt. Er war in der Reichsjugendführung dem Presse- und Propagandaamt zugeordnet und trat zum 1. November 1943 in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 9.642.252).
Reineckers Drehbuch zu dem Jugendpropagandafilm Junge Adler wurde 1944 von seinem Freund Alfred Weidenmann verfilmt. Er schrieb am 5. April 1945 den letzten Leitartikel für die SS-Zeitung Das Schwarze Korps. Kurz vor Kriegsende setzte er sich aus Berlin ab und fand Unterschlupf am Wörthersee.
Auf der Homepage der Stadt Hagen wird Herbert Reinecker bis heute in der Liste „namhafter Persönlichkeiten“ geführt, seine Propagandatätigkeit wird eher nebensächlich erwähnt: „Unter dem NS-Regime verfasste er zwischen 1936 und 1944 zahlreiche Theaterstücke und Drehbücher, darunter „Das Dorf bei Odessa“, „Der Mann mit der Geige“ und „Junge Adler“.
In dem offiziellen Verzeichnis findet er sich in einer Reihe mit inzwischen verblichenen Popstars wie der ins verschwörungserzählerische Geschwurbel abgerutschten Schlagersängerin Nena („99 Luftballons“).
2008 veröffentlichte Karsten-Thilo Raab den Schmöker „Das ist Hagen“. Darin bescheinigt er Herbert Reinecker eine „Mordskarriere als Schreibvulkan“. Raab war seit 1997 Pressesprecher der Stadt Hagen und stellvertretender Leiter der Pressestelle im Büro des Oberbürgermeisters. Wenn man so will, also eine Art Kollege des „Schreibvulkans“.
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