Warum kein offener Widerstand?

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Finanzkrise: Ratsfraktionen klagen – Konsequenzen bleiben aus

Es ist jedes Jahr (oder bei Doppelhaushalten alle zwei Jahre) dasselbe Prozedere: Die miserable Haushaltssituation wird bejammert, parteipolitische Schuldzuweisungen folgen, aber die eigentlichen Ursachen werden bestenfalls verhalten benannt – und schon gar nicht mit der schon lange eigentlich nötigen Härte angegangen.

SPD-Fraktionschef Claus Rudel räumt ein, dass „wir“ mehr oder weniger „große Reden über die anstehende Geldverteilung in den kommenden beiden Jahren schwingen“. Er bezieht also die eigene Truppe durchaus mit ein.

„Eigentlich könnten wir Fraktionen und Gruppen uns diese 10 Minuten am Klagemikrophon sparen, weil wir unseren Bürgern doch gar nichts Neues zu sagen haben.“ Genau so ist es. Aber Alternativen hat Rudel nicht im Angebot.

Er arbeitet sich stattdessen an der aktuellen schwarz-grünen Landesregierung ab. Das ist nicht verkehrt, hätten doch laut Koalitionsvertrag CDU und Grüne im Land bereits im vergangenen Jahr selbst eine Lösung herbeiführen müssen, um Städte wie Hagen von alten Kassenkrediten zu befreien. Geschehen ist bis heute nichts.

Aber nur auf den Stärkungspakt der seinerzeitigen SPD-geführten NRW-Regierung unter Hannelore Kraft zu verweisen, wie es Rudel macht, ist dann doch reichlich dünn. Diese Regelung hat die grundsätzlichen Probleme aus chronischer Unterfinanzierung und Altschulden nicht beseitigt.

Grünen-Vertreter Jörg Fritsche führt diverse Krisen ins Feld: „Dass wenige globale Ereignisse unsere Konsolidierungsbemühungen derart zurückwerfen, zeigt dass wir es mit einem strukturellen Problem der unterfinanzierten Kommunen zu tun haben.“

Fritsche blendet dabei aus, dass das von ihm diagnostizierte „strukturelle Problem“ der Unterfinanzierung schon lange vor „globalen Ereignissen“ – er nennt Corona und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – gegeben hat.

„Trotzdem stellen wir uns als Grüne dieser kommunalen Verantwortung“,  teilt der Grüne tapfer mit, auch wenn er einräumen muss, dass „es ein Stück weit hoffnungslos erscheint“. Gleichwohl hält er die Haushaltspolitik nur für eine Zumutung „mit der wir aber alle in Hagen leben müssen“. Fatalismus pur, Widerstand: Fehlanzeige.

Den Vogel schoss wieder einmal der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Jörg Klepper, ab. Der schwadronierte von einer „Summe aller falschen Entscheidungen“, die von „Zufallsmehrheiten“ im Haupt- und Finanzausschuss abhingen und „einen dramatischen Wendepunkt in unserer Stadtgeschichte“ markierten.

Von den Folgen der jetzt verabschiedeten Haushaltssatzung „werden wir uns laut Aussage unseres Kämmerers Christoph Gerbersmann „nie wieder aus eigener Kraft erholen““, so Klepper.

Das ist wirklich nichts neues, hat aber wenig mit der aktuellen Haushaltssatzung zu tun. Kleppers Parteifreund, Hagens früherer Oberbürgermeister Jörg Dehm, hatte schon 2015 erkannt, dass die Stadt mit einem Zeitraum von mehr als 500 Jahren rechnen müsste, um die Altschulden zurückzuzahlen. Voraussetzung wären allerdings ein permanentes Haushalts-Plus und 0,0 Prozent Zinsen über die gesamte Strecke, sonst dauere es natürlich wesentlich länger.

„Es scheint mir, einige hier im Saal haben rein gar nichts aus Hagens Vergangenheit gelernt“, erzählt der CDU-Fraktionschef. Er selbst gehört offensichtlich auch dazu.

Andere haben anscheinend etwas anderes gelernt. Darüber empört sich Klepper: „Drei Stimmen hier im Raum verkündeten im Vorfeld gar sogar – ich zitiere – „dass man den Karren jetzt mal richtig gegen die Wand fahren muss, damit Landes- und Bundesregierung endlich gezwungen sind, uns zu helfen.““

Ja, was würde dann wohl passieren? Vielleicht hilft ein Blick in die Vergangenheit.

Es waren die Jahre 2013/14, also der von SPD-Ratsvormann Claus Rudel so positiv beschworenen Regierungszeit der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Es begab sich also zu der Zeit, dass schon damals diverse Kommunen am Abgrund standen.

Während Hagen sich bereits 2008 dem Diktat des vom damaligen Regierungspräsidenten, dem Hagener CDU-Funktionär Diegel, entsandten „Mentors“ unterworfen hatte, wurden in zwei Kleinstädten, dem rheinischen Nideggen und dem westfälischen Altena, Staatskommissare eingesetzt.

Deren Wirken hat sich als wenig nachhaltig erwiesen – beide Kommunen stehen heute wieder vor dem finanziellen Abgrund.

Der Stadtrat von Nideggen hatte einen von der Verwaltung vorgelegten Haushaltsentwurf abgelehnt, also ähnlich wie es jetzt der Hagener Rat gemacht hat, der sich mehrheitlich den geplanten Steuererhöhungen verweigert hat. Altena hatte erst gar keinen „genehmungsfähigen“ Haushalt vorgelegt.

Der von Kommunalminister Ralf Jäger (SPD) eingesetzte Sparkommissar traf im Altenaer Rathaus auf „durchweg eisige Stimmung„, berichtete Der Neue Kämmerer seinerzeit. Altenas damaliger Bürgermeister Dr. Andreas Hollstein (CDU) stellte fest: „Das ist kein Sparkommissar sondern ein Steuererhöhungskommissar.“

Und so kam es auch. Außer der Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer fiel dem Staatsbeauftragten auch nichts ein. Danach verschwand er umgehend wieder. In Nideggen lief das gleiche Spielchen ab: Die Steuern wurden erhöht, „gespart“ wurde nichts.

Vor allem wurden die kommunalen Finanzierungsdefizite mit solchem Aktionismus um keinen Deut gelöst. Beide Gemeinden stehen aktuell wieder vor dem Problem, das der Landesentsandte doch angeblich lösen sollte.

Altena ist pleite„, titelte vor zwei Tagen die Online-Ausgabe der Lüdenscheider Nachrichten, „Finanzen der Rureifel-Stadt im Sinkflug“ im März die Aachener Zeitung über Nideggen.

2014 vermutete der Altenaer Bürgermeister wohl nicht zu Unrecht: „Es soll an einer kleinen Stadt gezeigt werden, wie hart die Landesregierung eingreift, um der Finanzwelt vorzuspielen, dass das System der Kommunalfinanzierung in NRW noch funktioniert.“ Eine kleine Stadt mit unter 20.000 Einwohnern biete sich dafür an, weil die Landesregierung damit nicht allzu viele Wähler vor den Kopf stoße.

Die Großstadt Hagen hatte da schon den Weg des vorauseilenden Gehorsams eingeschlagen und nach der Kürzungsorgie von 2008 die Grundsteuer bereits 2012 um sage und schreibe 41,5 Prozent erhöht.

Solide Kommunalfinanzen sind damit nicht erreicht worden und eine erneute Steuererhöhung hat jetzt keine Mehrheit gefunden. Die Klepperles im Rat sollten vielleicht mal den Altenaer Ex-Bürgermeister, ihren Parteifreund Hollstein, kontaktieren und nicht über „frühkindliche Trotzhaltung“ schwandronieren und den Menschen einreden, sie würden – mittels abgelehnter (!) Mehrbelastungen – als „Crashtest-Dummies missbraucht“.

Statt Volksverdummung zu betreiben, wäre es angebracht, einen Haushalt vorzulegen, der den Interessen der Hagener dient. Selbst wenn der von der Kommunalaufsicht in Arnsberg verworfen wird.

Anschließend wird man sehen, ob die Landesregierung tatsächlich die Traute besitzt, nicht nur gegen kleine Kommunen vorzugehen, sondern auch gegen eine Fast-200.000-Einwohner-Stadt mit einem entsprechenden Wählerpotential.

Das Risiko wäre überschaubar, denn Steuererhöhungen, wie sie die Sparkommissare in Nideggen und Altena durchsetzten, haben unsere Wichtigen in der Vergangenheit schließlich schon selber beschlossen.

Siehe dazu auch:

Höchste Zeit für Ungehorsam
Wie lange will sich Hagen die kommunale Unterfinanzierung noch bieten lassen?

3 Antworten to “Warum kein offener Widerstand?”

  1. Ladleif, Peter Says:

    Selbst die Partei mit einem „Aktiv“ im Namen scheinen nichts anstoßen zu wollen. Vielleicht müssten man mal mehrere Busse mit Bürgern nach Düsseldorf oder Berlin zum demonstrieren schicken, wenn unsere Volksvertreter zu bequem sind aus ihrem Fraktionssessel ausszustehen.

  2. Rüdiger Says:

    Den Vogel schoss wieder einmal der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Jörg Klepper, ab. Der schwadronierte von einer „Summe aller falschen Entscheidungen“, die von „Zufallsmehrheiten“ im Haupt- und Finanzausschuss abhingen und „einen dramatischen Wendepunkt in unserer Stadtgeschichte“ markierten.

    Hätte der Vorsitzende der CDU- Fraktion Jörg Klepper damals sein Studium beendet, bräuchte er heute nicht nicht in der Politik sein Geld verdienen.

  3. KranichMuss Says:

    Es ist davon auszugehen, daß sich irgendwann Wut und Mut ( dann als Löwenmut zu bezeichnen ) dermaßen zusammenballen und man gegen Land oder/und Bund keinesfalls mehr nur Klagelieder anstimmt, sondern klagt.

    Und sei es, da sich Mut denn doch vielleicht irgendwie relativiert, inform einer Sammelklage ( wenn das rechtlich geht ) mit anderen Kommunen zusammen.

    Notfalls ein betretener Schweigemarsch – im Kontrast zur machtvollen Palaverbude Ratssaal – sämtlicher Hagener Kommunalpolitiker – mit ° innen – und Verwaltungsspitzchen gen Düsseldorf oder gar Berlin ( abends gen Nachtleben daselbst )

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