In seiner Heimatstadt wird die SS-Geschichte des späteren Hagener CDU-Funktionärs Oskar Pahnke unter den Teppich gekehrt – In den Niederlanden ist sie nach wie vor präsent
Michael Lippert, Kommandant der SS-Unterführerschule Arnheim, heftet Orden an zwei SS-Männer in der Nähe der Brücken über die Waal bei Zaltbommel. Rechts: Oskar Pahnke. ©: Regionaal Archief Rivierenland.
Die Bommelerwaard, das Stromgebiet zwischen Waal und Maas (niederl. auch: Rivierenland) war, was wenig bekannt ist, während des Zweiten Weltkriegs eine der am schwersten betroffenen Regionen in den Niederlanden. Daran soll eine Dauerausstellung im Museum der Stadt Tiel erinnern, die Mitte April eröffnet wird.
Neben allgemeinen Informationen über die deutsche Besatzung und die allierte Operation „Market Garden“, die in Deutschland unter der „Schlacht von Arnhem“ bekannt ist, wird die damalige Zeit anhand von fünf Personen verdeutlicht, die stellvertretend für die unterschiedlichen Aspekte der damaligen Verhältnisse stehen.
Es sind sowohl Opfer als auch Täter, die in der Ausstellung präsentiert werden. Auf der Täterseite: Oskar Pahnke.
Jener SS-Offizier von der Unterführerschule Arnhem, den die Niederländer in übler Erinnerung behalten haben. In Hagen wird hingegen die Vergangenheit des 2009 verstorbenen CDU-Funktionärs bis heute unter den Teppich gekehrt.
Auf der Opferseite ist Wim Valk zu finden, ein Zivilist aus Tiel, der als Metalldreher in der Metallwarenfabrik Daalderop in Tiel arbeitet. Er wird 1939 mobilisiert, wie so viele Niederländer. Die Deutschen nehmen ihn gefangen. Zurück in Tiel heiratet er Annie Daalen und sie bekommen 1944 einen Sohn, Eddy. Danach beginnt der Beschuss von Tiel. Am 6. November stirbt die Familie an diesen Granatentreffern.
Und da ist Denis Colebrook, ein britischer Pilot, der abgeschossen wird. Der Tiel-Widerstand versucht, Dennis über die Waal in das befreite Gebiet zu bringen, aber das scheitert. Die Familie van Elsen nimmt ihn in dieser Nacht auf. Am nächsten Tag werden Frau van Elsen und Denis festgenommen. Der Widerstand befreit Frau van Elsen. Diese Aktion bleibt aber nicht ohne Folgen, fünf Tieler werden erschossen.
Betty und Daatje Frank sind die Töchter von Sam und Marianne Frank. Die jüdische Familie lebt in Ochten, wo der Vater ein gutgehendes Bekleidungsgeschäft betreibt. Am 9. April 1943 wird die Familie ins Lager Vught deportiert. Dort feiert Betty am 29. Mai ihren elften Geburtstag. Keiner von ihnen überlebt den Krieg.
Aber es gibt auch Leute wie Jan Robertson jr., einen Kollaborateur und niederländischen SS-Mann. Aus Bankierssohn wird Bankräuber: So lässt sich sein Leben zusammenfassen. Er ist der Sohn von Jan Robertston sr. und Eva Leybold. Beide sind Mitglieder der niederländischen Nationaal-Socialistische Beweging (NSB).
Eine der Banken, die Robertson jr. Anfang 1945 mit seinen SS-Kameraden überfällt, liegt in Tiel. Die Beute ist riesig. Die Polizei wird diesen Fall sofort nach der Befreiung bearbeiten. Auch Robertson wird auf den Zahn gefühlt. Doch ihm gelingt die Flucht, vermutlich nach Süddeutschland, wo sich seine Verlobte aufhält.
Und die fünfte Person, die die Historiker als exemplarisch für das Geschehen während des Zweiten Weltkriegs in diesem Teil der Niederlande ausgewählt haben, ist Oskar Pahnke. Jener SS-Offizier, der zum Hagener CDU-Funktionär mutierte.
Oskar Pahnke war als SS-Obersturmführer Kommandant der ersten Kompanie der Unterführerschule Arnhem, einer Ausbildungsstätte für SS-Führer in der Hauptstadt von Geldern. Die Ankunft der Einheit der Waffen-SS im Bereich Bommelerwaard forderte viele zivile Opfer. Pahnke wurde 1947 zu Untersuchungszwecken in die Niederlande überführt und saß ein Jahr im Gefängnis der Stadt Vught. Mitgliedern seiner Einheit wurde ein dreifacher Mord vorgeworfen, Pahnke selbst konnte aber – damals – nichts nachgewiesen werden.
In Hagen wurde Pahnke dann Werbeleiter der Andreas-Brauerei, einem – wie man heute weiß – Sammelbecken für alte SS-Kameraden. Die Braustätte wurde ebenso wie ihr Produkt jahrzehntelang vom Vereinsmilieu, der Presse und örtlichen Parteigliederungen als eine Art Kultobjekt heimischer Tradition betrachtet. Von der Nazi-Vergangenheit ihrer Führungskräfte, einschließlich des Inhabers, wollte man nichts wissen.
Pahnke, der u.a. Mitglied im Rat der Stadt Hagen war und in späteren Jahren Funktionär der Senioren-Union, einer CDU-Gliederung für die etwas betagteren Mitglieder, verstarb im Dezember 2009. Aus diesem Anlass veröffentlichte die offizielle Parteigliederung wie üblich eine Todesanzeige in der heimischen Presse.
Einigen Protagonisten der Hagener CDU reichte das aber nicht – sie machten ihr eigenes Ding. In einer separaten Beileidsbekundung erdreisteten sie sich, dem Gedenken an ihren „väterlichen Freund und Ratgeber“, den vormaligen SS-Offizier Pahnke, ein Zitat des SS-Opfers Dietrich Bonhoeffer voranzustellen.
Dietrich Bonhoeffer war evangelischer Theologe, Mitglied der Bekennenden Kirche, Pazifist und einer der auch heute noch bekanntesten Widerständler gegen das Nazi-Regime. Ein SS-Gericht verurteilte ihn nach einer Hitler-Anordnung – kurz vor Ende der faschistischen Tyrannei – am 8. April 1945 zum Tode. Im Morgengrauen des darauffolgenden Tages wurde Bonhoeffer im KZ Flossenbürg gehenkt.
Die drei Unterzeichner dieses Machwerks waren Helmut Diegel, Christian Kurrat und Bernd Löwenstein.
Diegel war von 1984 bis 1987 Mitglied des Hagener Stadtrats und von von 1985 bis 2005 Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags. Nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag wurde er bis 2010 Regierungspräsident in Arnsberg. Von 2020 bis 2022 kehrte er (als Nachrücker) nochmals in den Landtag zurück. Von 1992 bis 2005 war er Kreisvorsitzender der Hagener CDU. Der gelernte Jurist dürfte genau gewusst haben, was er unterschreibt.
Löwenstein stand von 1992 bis 2017 als angestellter Kreisgeschäftsführer der CDU in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Er könnte also zur Unterschrift gedrängt worden sein – oder er kannte die Vergangenheit Pahnkes einfach nicht.
Kurrat war damals als CDU-Nachwuchskraft Mitglied des Hagener Stadtrats. Abteilung „jung und naiv“ könnte man meinen, aber Kurrat hatte auch schon in frühen Jahren eine dezidierte Meinung:
So hat er sich 2001 nach der großen antifaschistischen Demonstation gegen einen Aufmarsch von Neonazis in Hagen im Nachhinein von dieser distanziert. Die absurde Begründung: „Die heutige Gegendemonstration, die anlässlich des Aufmarsches der Rechtsradikalen in Hagen vom DGB organisiert wurde, war aus meiner Sicht eine reine Parteiveranstaltung der SPD.“
Kurrat ist inzwischen Mitarbeiter der Fernuniversität Hagen. Er promovierte 2014 zum Thema: „Renaissance des Pilgertums. Zur biographischen Bedeutung des Pilgerns auf dem Jakobsweg“.
Da wäre es doch naheliegend, dass Kurrat, der heute Mitglied des Vorstands der CDU in Hagen-Emst ist, dem Stadtteil, in dem auch sein Parteifreund Pahnke seinen Wohnsitz hatte, nach Eröffnung der Ausstellung in Tiel in Richtung Niederlande pilgern würde, um sich den früheren „Wirkungsbereich“ seines „väterlichen Freundes und Ratgebers“ Oskar Pahnke einmal etwas genauer anzuschauen.