Hysterie bei der Hagener Wirtschaftslobby – Mit tatkräftiger Unterstützung der „Hagen-Agentur“
Am 22. Februar wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Rechtsstreit zwischen der Deutschen Umwelthilfe und dem Land NRW verhandeln und womöglich schon entscheiden. Zu klären ist, ob Fahrverbote für Dieselfahrzeuge auf Grundlage des geltenden Rechts überhaupt möglich sind. Sollte das Gericht zu dem Urteil kommen, dass Dieselfahrverbote möglich sind, könnte das weitreichende Folgen haben. In mehr als 80 Städten werden die NOx-Grenzwerte überschritten, so auch in Hagen.
Aus diesem Grund hat der Regionalausschuss der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen (SIHK) gemeinsam mit dem Einzelhandelsverband Südwestfalen, dem Märkischen Arbeitgeberverband, der Handwerkskammer Dortmund, der Kreishandwerkerschaft Hagen, dem DEHOGA und der Hagen-Agentur das Papier „Positionen der Wirtschaft zu drohenden Dieselfahrverboten in Hagen“ verfasst.
Sollte die rechtliche Zulässigkeit von Dieselfahrverboten am 22. Februar bestätigt werden, drohen Fahrverbote innerhalb der Umweltzone für Dieselfahrzeuge oder die „blaue Umweltzone“ mit der Einführung der blauen Umweltplakette. Für die Hagener Wirtschaft hätte das nach Ansicht der Lobbyisten gravierende Folgen.
„Industrie, Handel, Hotellerie, Gastronomie, Handwerk und Dienstleister sprechen sich grundsätzlich deutlich gegen eine weitere Verschärfung der Fahrverbote zur Verbesserung der Luftqualität in Hagen aus. Die Hagener City muss attraktiv erreichbar bleiben. Die Mobilität für Unternehmen, Mitarbeiter und Kunden ist sicherzustellen“, heißt es in dem gemeinsamen Papier.
Bessere Luft spielt demnach für die Verbandsfunktionäre bestenfalls nur eine untergeordnete Rolle. Die von den verschiedenen Lobbysprechern vorgetragenen Forderungen lesen sich, als sei die Abgasproblematik aus heiterem Himmel über die Stadt hereingebrochen; dabei sind die entsprechenden Grenzwerte bereits seit 10 Jahren geltendes Recht. Das wurde jedoch nie umgesetzt.
Die Wirtschaft hatte also genügend Zeit sich umzustellen, ging aber wohl davon aus, dass sich mit Hilfe ihrer Einflüsterer im Politikbetrieb notwendige Veränderungen im Sinne des Allgemeinwohls umgehen ließen.
Also haben alle Beteiligten – dazu gehört neben den Unternehmensfunktionären vor allem auch der Stadtrat – einfach versucht, die Lage auszusitzen und mit eher kosmetischen Maßnahmen den Menschen zu zeigen: Wir tun was. Gebracht hat diese Camouflage-Politik erwartungsgemäß nichts.
Erst zum jetztigen Zeitpunkt, wenige Tage vor einem höchstrichterlichen Urteil, ist die Industrie- und Handelslobby plötzlich aufgewacht und beklagt drohende Einschränkungen.
Dr. Ralf Geruschkat, Hauptgeschäftsführer der SIHK zu Hagen, setzt auf die Bahnhofshinterfahrung und wünscht sich an dieser Stelle einen „P + R-Parkplatz mit Transfer in die Innenstadt, um diese auch bei einer möglichen Sperrung für Diesel-Pkw attraktiv erreichbar zu halten“.
P+R-Plätze mit attraktiver ÖPNV-Anbindung stehen seit vielen Jahren auf der Agenda, sind aber bis heute nicht umgesetzt worden. Von Seiten der SIHK ist diese Forderung allerdings neu, ganz abgesehen davon, dass gerade der Hauptbahnhof bereits heute bestens mit der Innenstadt verbunden ist und der SIHK-Vorschlag an dieser Stelle ins Leere geht.
Während sich die SIHK noch moderat äußert, legt Dr. Michael Plohmann, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Hagen, schon einen Zahn zu: „Generelle Fahrverbote, die zur Mobilitätseinschränkung und damit zu einer Behinderung des vielfältigen Leistungsangebots der Handwerksbetriebe führen, werden dagegen abgelehnt. Zwingend notwendige Maßnahmen zur Luftreinhaltung müssen mit Augenmaß und nur unter Berücksichtigung von Notwendigkeiten der Daseinsvorsorge umgesetzt werden.“
Aber Maßnahmen zur Luftreinhaltung müssen nicht „mit Augenmaß“ nach dem Gusto des Handwerksfunktionärs umgesetzt werden, sondern so, dass die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden. Nur die orientieren sich an den „Notwendigkeiten der Daseinsvorsorge“, wie Plohmann das so schön formuliert hat, und nicht an Partikularinteressen seiner Mitgliedsbetriebe.
Jürgen Isselmann, Abteilungsleiter Handwerkskammer Dortmund, versteigt sich gar zu der Behauptung: „Fahrverbote kämen einer Enteignung von Betriebsmitteln gleich und wären für viele Betriebe existenzbedrohend.“
Vielleicht hilft dem Herrn Abteilungsleiter ein Blick ins Grundgesetz: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, heißt es im Artikel 2. Den Satz „Freie Fahrt für freie Handwerker“ findet man in der Verfassung dieses Landes dagegen nicht. Für Isselmann riecht das schon nach Sozialismus („Enteignung“). In den Jahren vor 1989 hätte er wohl den Befürwortern besserer Luftverhältnisse enpfohlen: „Geht doch nach drüben!“
Die in teilweise geradezu hysterischem Tonfall vorgetrage Abwehr wirksamer Maßnahmen zu einer überfälligen Verbesserung der Luftqualität vor allem im Hagener Zentrum ist bei näherer Betrachtung in keiner Weise zu rechtfertigen. Dass selbst bei einer rigorosen Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs (von dem hier keine Rede sein kann, es geht lediglich um Alt-Diesel auf vermutlich wenigen Straßenabschnitten – wenn überhaupt) die Versorgungsfunktionen nicht beeinträchtigt werden, zeigt doch auf sehr anschauliche Art und Weise die Fußgängerzone in der Innenstadt.
Dort funktionieren Handel und Gewerbe seit über 40 Jahren, ohne dass zu jeder Tages- und Nachtzeit grenzenlos vorgefahren werden darf. Trotzdem sind Belieferung und Entsorgung gesichert und die Mitglieder von Handwerkskammer und Einzelhandelsverband dürften in den vergangenen vier Jahrzehnten dort eine Menge Umsatz gemacht haben.
Dass die Wirtschaftslobby versucht, ihre Interessen lautstark durchzusetzen, ist ihr gutes Recht. Aber dem muss die Politik ja längst nicht folgen. Noch wählen in diesem Lande die Bürger und nicht Betriebe, Konzerne und deren Propagandisten – zumindest sollte es so sein. Bedenklich wird es allerdings, wenn sich ein mehrheitlich städtisches Unternehmen in diesen Lobbyzirkus einreiht.
Die Rede ist von der sogenannten „Hagen-Agentur“, einem dem „Konzern Stadt“ zuzurechnenden Unternehmen in „Öffentlich-Privater Partnerschaft“ (ÖPP), das in der Vergangenheit nicht gerade durch große Sprünge aufgefallen ist, die Steuerzahler aber jedes Jahr eine Menge Geld kostet.
Dessen Geschäftsführer Michael Ellinghaus unterstützt ganz unverholen die einschlägigen Interessenverbände: „Die Diskussion über mögliche Dieselfahrverbote in deutschen Großstädten ist zu einseitig. (…) Deshalb bedarf es intelligenter Lösungen, die über einfache Verbote hinausgehen.“ Welche Lösungen das sein könnten, darauf hat Ellinghaus keine Antwort.
Die grundsätzliche Frage ist aber, wer Ellinghaus dazu autorisiert hat, sich in einer nicht gerade unwichtigen politischen Angelegenheit als Geschäftsführer einer städtischen Gesellschaft bedingungslos auf die Seite von Interessenvertretern zu schlagen.
Die „Hagen-Agentur“ hat nicht einfach eine Meinung geäußert, sondern ist als Mitunterzeichner der Stellungnahme der Wirtschaftsverbände eindeutig Partei. Das kann und darf nicht Aufgabe einer städtischen Gesellschaft sein.
Zu befürchten ist, dass der Hagener Rat auch diesen Klüngel ohne Beanstandung passieren lässt. Es würde jedenfalls ins Bild passen.
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