von Christoph Rösner
„Nä, nä, … was bin ich froh, dass wir dieses Jahr bald hinter uns haben!“
So denken wohl viele von uns in diesen Tagen, in denen sich so viel verändert hat, in denen wir orientierungslos und etwas konfus unsere alten, vertrauten Rituale suchen und sie selten nur wiederfinden.
Kein sinnloses Abschütten mit klebrig-heißen Weinzuckerprodukten auf nasskalten Weihnachtsmärkten ohne dusselige, blinkende Elch- oder Mützenaccessoires, kein termingetriebenes City-Hecheln bei gleichzeitigem Nachhausetragen von viel unsinnigem und überflüssigem Zeug. Kein Weihnachten-auf-den-Seychellen-Ertragen. Und überhaupt: irgendwie und insgesamt weniger bereitwillige Selbstinfantilisierung, wenn man mal vom kindgerecht generationenübergreifenden Angebot im TV absieht.
Also, wenn ich´s richtig sehe, alles gar nicht so schlecht.
Gut, unsereins Soloselbständiger in Sachen Text- und Bühnenkunst geht gerade ziemlich auf dem Zahnfleisch. Weniger finanziell – die Hilfen waren hilfreich – nein, es ist eher dieser Entzug, der zu schaffen macht. Keine Menschen aus Fleisch und Blut, kein Applaus an der richtigen Stelle.
Stattdessen verpuffende Pointen in stümperhaft produzierten Privatvideos im Rumpelkammerambiente und die krampfhaften Versuche, der aufgezwungenen Tatenlosigkeit mit energischer Lethargie entgegenzutreten … ach, und permanent dieses Hoffen und diese Selbstbesänftigung, dass im neuen Jahr schon alles besser wird.
Sorry, wird es nicht.
Unser sexiest OB alive wird auch in 21 unser sexiest OB alive sein – und wohl mehr auch nicht. Auch nächstes Jahr werden die Altglas – und Altpapiercontainer überquellen und Hagen nach und nach zur Krollmann-City mutieren. Die Verwaltung wird ihre vorfeiertägliche Drohung, nur noch eingeschränkten Dienst zu versehen, auf das gesamte 2021 ausweiten. Der Klimawandel wird unaufgehalten weitergehen, Flüchtlinge werden weiterhin im Mittelmeer ersaufen. Fiese Virus-Mutanten werden uns bis in den Sommer piesacken. Erste Meldungen über schwere Impfnebenwirkungen werden die Impfbereitschaft gegen Null treiben.
Und Jaulen und Zähneklappern werden zum Hintergrundgeräusch des neuen Jahres.
Und wem jetzt immer noch weihnachtlich heimelig zumute ist, der möge doch bitte dieses Gefühl bis in den Dezember 21 hinüberretten und sich bis dahin mit dem Scharren seiner Hufe die Zeit vertreiben, bis die geliebte Normalität wieder an die Tür klopft.
Denn, sollte dies eines fernen Tages doch geschehen, dann werden all die schönen Visionen von einer veränderten Gesellschaft, von sich besinnenden Menschen, von der Abkehr vom perversen Konsum mit all seinen noch perverseren Nebenwirkungen augenblicklich obsolet sein.
Denn das Hufescharren ist dauerhaft kaum befriedigend. Und Nachdenken über uns und unsere Verantwortung für diese Stadt, dieses Land, diesen Planeten ist so wenig berauschend wie das familiäre Kartoffelsalat-Bockwürstchen-Ritual an Heiligabend – und im Übrigen auch gar nicht erwünscht.
Denn der Mensch will nicht nur mit den Hufen scharren. Er will seiner Sehnsucht frönen und loslaufen und hoffen, auf nichts Unbekanntes zu stoßen. Denn er fürchtet das Unbekannte, so verlockend und vielversprechend es auch sein könnte. Er sehnt sich nach einer friedlichen Erde mit gesunden Bäumen und summenden Bienen und Paketzustellern, die er bis zum Umfallen schuften lassen kann.
Nein, es wird noch lange dauern, bis wir wieder am vertrauten Geruch des Normalen schnuppern dürfen.
Und die bösen Geister dieses alten, verfluchten Jahres dürfen wir auch nicht wie gewohnt laut, verschreckend und umweltbelastend vertreiben.
So ein Pech aber auch!
Wie schön es wäre, wenn das Denken wieder Einzug hielte in unsere neue Normalität. Wie schön es wäre, wenn Querdenken wieder zur aufgeklärten Tugend würde. Wie schön es wäre, wenn Besinnung die Verblendung ablösen würde. Wie schön könnte ein neues Jahrzehnt werden … mit neuen Welten da draußen oder in uns.
An dieser Stelle wünsche ich mit Friedrich Nietzsche allen Neugierigen, Furchtlosen und Denkenden ein gesundes und spannendes 2021!
„Es gibt noch eine andere Welt zu entdecken – und mehr als eine! Auf die Schiffe, Ihr Philosophen!“
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