Der frühere Hagener Bundestagsabgeordnete René Röspel kritisiert Forderungen zum Ukrainekrieg – ebenso wie ein hochrangiger Militär
Von den Hagener Parteien ist zum Krieg des russischen Herrschers Wladimir Putin gegen die Ukraine auch nach zwei Monaten nach Beginn der Aggression nichts zu hören. Dafür meldet sich jetzt der von seiner eigenen Partei abgesägte frühere Bundestagsabgeordnete René Röspel (SPD) zu Wort.
In einem Leserbrief an die Westfalenpost (Printausgabe 26.04.2022) äußert er Zweifel an der Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine. Aus seiner Sicht gebe es „zwei Ziele zur Antwort auf Putins Krieg, die sich derzeit nicht miteinander vereinbaren lassen: Den Krieg zu gewinnen und Putin zu besiegen oder aber den Krieg und weiteres Sterben und Zerstörung so schnell wie möglich zu beenden“.
Röspel befüchtet, „dass Putin mit mehr Brutalität und Eskalation antworten und alles noch schlimmer“ werde. Die ehemaligen Kriegsdienstverweigerer, die gerade am lautesten nach Waffen schreien, müssten laut Röspel „ihre KDV-Anerkennung zurückgeben und eines ihrer Kinder zum Kämpfen schicken“.
Tatsächlich sind die größten Schreihälse, die eine Lieferung schwerer Waffen fordern, solche Leute, denen man in früheren Zeiten erst einmal die Frage gestellt hätte „Hat er denn überhaupt gedient?“. Roth (SPD), Strack-Zimmermann (FDP) und Hofreiter (Grüne) haben es nicht, Merz (CDU) hat es nur bis zum Obergefreiten geschafft.
Das wäre natürlich alles nicht besonders schlimm oder gar verachtenswert – wenn, ja wenn sich genau diese Klientel heute nicht so sehr als Befürworter einer weiteren Eskalation präsentieren würden. Hochrangige Militärs weisen dagegen auf die gewaltigen Risiken einer solchen Politik hin, die nur taktisch und nicht strategisch denkt.
Der ehemalige deutsche Brigadegeneral Dr. Erich Vad warnt vor solchen Kuzschlüssen und empfiehlt in einem umfangreichen Interview in der Schweizer Zeitschrift Zeitgeschehen im Fokus: „Wir müssen von einer wie auch immer gearteten späteren politischen Lösung zurückdenken und so agieren, dass spätere diplomatische Lösungen nicht verunmöglicht werden. Sie müssen für beide Seiten einen gesichtswahrenden Ausweg enthalten. (…) Wir laufen dabei Gefahr, weiter auf dem Weg einer Eskalation ins Nirwana zu marschieren oder letztlich in einen nuklearen Krieg.“
Und Vad, der Mitglied der CDU ist, weiter: „Da sind tatsächlich Politiker am Werk, die keine Ahnung vom Militär haben, geschweige denn je Militärdienst geleistet haben. Sie besitzen keine Vorstellung, was Krieg bedeutet. Das sind Menschen, die mit militärischer Gewalt nie etwas am Hut hatten, die in der jetzigen Situation völlig überfordert sind, die massive Waffenlieferungen befürworten und nicht im Geringsten eine Vorstellung davon haben, was das für Folgen haben könnte.“
Der Brigadegeneral macht die Unterschiede klar: „Putin ist nicht Miloševic, und Russland ist nicht Serbien, Irak oder Afghanistan. Russland ist eine Nuklearmacht, und das ist der Denkfehler, den viele machen. (…) Nein, es gibt keine militärische Lösung! Es gibt nur eine politische Lösung. Jede militärische Lösung führt in die Katastrophe! Das muss man den Damen und Herren ganz deutlich machen. Russland wird nicht nach Hause gehen wie die USA und die Nato in Kabul.“
Der frühere Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) setzt sich kritisch mit der Rolle des ukrainischen Botschafters in Deutschland auseinander: „Es reicht, Herr Melnyk!“. Eine durchaus differenzierte Darstellung, die die Historikerin Franziska Davies in der 3sat-Kulturzeit vom 25.04.2022 trotzdem einen „widerwärtigen Text“ nannte. Er habe „die Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine relativiert“, so Davies in apodiktischem Tonfall.
Geisel hatte es in seinem Text gewagt, auf historische Zusammenhänge hinzuweisen: „Aber werden durch die ukrainische Genozid-Rhetorik nicht letztlich die Kriegsverbrechen von Srebrenica, My Lai und Babiyar, um nur einige zu nennen, und vielleicht auch die Bombennacht von Dresden, der angeblich 30.000 Menschen zum Opfer fielen, bagatellisiert?“
Der frühere Düsseldorfer OB sieht auch die Rolle der deutschen Massenmedien kritisch: „Eine Binsenweisheit besagt, dass die Wahrheit in der Regel das erste Opfer des Krieges ist. Dass in Russland über den Krieg nur das berichtet wird, was die staatliche Propaganda erlaubt, liegt auf der Hand. (…) Aber können wir der Rhetorik des Kriegsopfers, also der Ukraine, trauen?“
Eine Sicht, die auch Reporterin Sonja Zekri in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung teilt: „Die Medienpolitik der ukrainischen Regierung ist auf den ersten Blick zugewandt und kooperativ. (…) Nach einiger Zeit verstärkt sich allerdings der Eindruck, dass die Ukraine zwar sehr bereitwillig Erkenntnisse oder Behauptungen zu Truppenbewegungen und Verlusten der russischen Armee weitergibt, allerdings sehr verschwiegener bei Informationen über ihre eigene Armee ist.“
Zur Gesamtlage gehöre auch, dass der ukrainische Präsident Selenskij die Medien „zusammengelegt“ habe, um die Informationspolitik zu „vereinheitlichen“. Ukrainische Journalisten nähmen die Zensur bislang unwidersprochen hin.
Geisel hat seinen Beitrag inzwischen auf Druck der NRW-Führung der SPD gelöscht. Weil er aber wichtig ist, um sich ein Bild zu machen – auch im Hinblick auf die weitgehend wie gleichgeschaltet wirkende deutsche Medienlandschaft -, dokumentiert DW den Text des Düsseldorfers hier.
Es sind Überlegungen und Einschätzungen, die in Kreisen der herrschenden Politik momentan nicht allzuhoch im Kurs zu stehen scheinen. „Mir scheint da gerade viel Heuchelei und Inkonsequenz dabei zu sein“, resümiert entsprechend der frühere Hagener Abgeordnete Röspel, der nach eigenen Angaben Flüchtlinge aus der Ukraine bei sich aufgenommen hat. Wenigstens steht er auch damit nicht ganz allein.
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