Fußgänger sollen Platz machen für Dritt- und Viertwagen
Die verbreitete Unsitte, Gehwege zu Parkplätzen umzufunktionieren, soll noch ausgeweitet werden. Das schwebt jedenfalls der Fraktion „Hagen Aktiv“ im Hagener Rat vor.
In einem Antrag für die Ratssitzung am 5. Oktober fordert die Wählervereinigung:
Die Verwaltung wird beauftragt, zu prüfen, an welchen Stellen im Stadtgebiet, insbesondere in den Wohnbezirken, neue Parkflächen durch halbseitig oder vollflächig aufgeschultertes Parken auf Gehwegen ausgewiesen werden können.
Auch hinsichtlich der Finanzierung hat „Hagen Aktiv“ schon eine Idee:
Die Verwaltung wird weiter beauftragt, zu prüfen, ob die Kosten für Errichtung und straßenverkehrsrechtlich ordnungsgemäße Ausweisung aus den allgemeinen Mitteln der Straßenunterhaltung bestritten werden können.
Mittel, die dann an sinnvollen Stellen fehlen würden. Und ganz schnell soll es gehen:
Die Verwaltung unterrichtet den Rat schnellstmöglich, spätestens bis zur Dezembersitzung 2017, über das Ergebnis dieser Prüfungen.
„Hagen Aktiv“ fordert mit diesem Antrag ganz unverblümt, dem Autoverkehr noch mehr Platz auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmer einzuräumen. Ein Ansinnen, das diametral der aus verschiedenen Gründen notwendigen Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs in Ballungsräumen entgegensteht.
Die Begründung der selbsternannten „Aktiven“ mutet geradezu abenteuerlich an: Im Schnitt verfüge ein Haushalt heute über zwei Fahrzeuge, vielfach sogar über drei und mehr. Diesem veränderten Umstand müsse dringend Rechnung getragen werden. Die Fraktion der Wählerinitiative glaubt ernsthaft, dass mit Stellplätzen auf Fußwegen „Hagen als Wohnort attraktiv gehalten werden“ könne.
Sollte der Antrag im Rat eine Mehrheit bekommen, würde das in der Konsequenz bedeuten, dass Fußgänger noch weniger Raum zur Verfügung hätten, nur damit private Dritt- und Viertwagen auf öffentlichen Gehwegflächen gelagert werden können.
Als weiteres „Argument“ muss aus Sicht von „Hagen Aktiv“ das sträfliche Versäumnis der Ordnungsbehörden herhalten, „dass jahrzehntelang falsches Parken in den Wohnbezirken nur sporadisch oder bewusst nicht geahndet worden ist“. Die Verkehrsteilnehmer müssten „Rechtssicherheit“ haben – die soll jetzt offenbar durch eine quasi nachträgliche Legalisierung der Verstöße hergestellt werden.
Die Erkenntnis, dass Fläche nicht vermehrbar ist, hätte man schon lange haben können. Stattdessen wurde 1972 ein neues Verkehrszeichen eingeführt: „Aufgeschultertes Parken“. Es war der erste Schritt zur Freigabe der Gehwege für Fahrzeuge. In der Folge wurden immer mehr Bereiche den Fußgängern entzogen, denen nach und nach im städtischen Raum nur noch eine Randexistenz zugebilligt wurde. So wurden im Rahmen einer vermeintlichen „Wohnumfeldverbesserung“ Mitte der 1980er Jahre in Wehringhausen Bürgersteige durchgehend in der Breite halbiert, um Platz für die damals zunehmende Zahl von Zweitwagen zu schaffen.
Jetzt soll nach den Vorstellungen von „Hagen Aktiv“ auch noch Platz für Dritt- und weitere Fahrzeuge geschaffen werden – wieder zu Lasten der Fußgänger. Ein kontraproduktiver Ansatz in Zeiten, in denen die Belastung durch einen völlig außer Kontrolle geratenen Individualverkehr in Ballungsräumen endlich wieder in den Fokus der öffentlichen Betrachtung gerückt ist.
Gerade erst hat in Hagen eine Diskussion darüber begonnen, wie der ÖPNV gestärkt werden könnte. Hintergrund sind die anhaltenden Probleme mit der wesentlich durch den Autoverkehr verursachten Luftverschmutzung. Der ebenfalls höchstproblematische enorme Platzbedarf dieser Verkehrsform wird auf der politischen Ebene der Volmestadt hingegen noch immer als selbstverständlich erachtet. Das beste Beispiel für diese Art rückwärts gerichteter Verkehrspolitik ist der vorliegende Antrag von „Hagen Aktiv“.
Mit noch mehr Parkplätzen und noch weniger Freiraum für Menschen kann Hagen sicher nicht „als Wohnort attraktiv gehalten werden“, wie „Hagen Aktiv“ glaubt. Das sind die völlig überholten Vorstellungen einer „autogerechten Stadt“ aus den Tiefen des letzten Jahrhunderts.