Bodenoffensive

by

Das Pflaster soll schuld am Niedergang der Fußgängerzone sein

Hagen,_Elberfelder_Straße_3Fußgängerzone Elberfelder Straße mit durchgestalteter Bodenfläche. Foto: Klaus Bärwinkel, CC BY-SA 4.0 Deed.

Der Unternehmer-Rat Hagen macht sich für einen Bürgerfonds stark. Der solle „die längst überfällige Sanierung der Pflasterflächen in der Fußgängerzone“ realisieren, teilt die Gruppe, die nach eigenen Angaben etwa 90 Mitglieder hat, mit.

„Wenn jeder interessierte Bürger etwa einen halben oder ganzen Quadratmeter spenden würde; Unternehmen, Vereine, Banken und Akteure aus der Politik und Wirtschaft bis zu 5.000 Quadratmeter bestreiten würden, käme schnell eine beachtliche Summe zusammen“, so der Unternehmer-Rat. Als Benefit könnten auch die alten Kopfsteinpflaster für jeweils etwa fünf Euro verkauft werden.

Die in ihrer Selbstwahrnehmung „einzige, neutrale und unabhängige Unternehmer-Initiative in unserer Stadt“ sieht demnach in einem Austausch des Bodenbelags einen wesentlichen Beitrag zur Revitalisierung der Einkaufsmeile im Zentrum der Stadt.

Vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit und die damit verbundene geringe Kaufkraft spielen in diesen Überlegungen erkennbar keine Rolle – die Pflasterung soll’s richten.

Dass deren Pflege mangelhaft ist, dürfte unbestritten sein. Anstatt schadhafte Stellen zu reparieren, werden fehlende Pflastersteine in der Regel durch Kaltasphalt ersetzt. Eine Notwendigkeit, den gesamten Bodenbelag zu ersetzten – womöglich durch eine monotone Pflasterung a la Hohenzollernstraße, wie es einigen Akteuren vorschwebt – besteht jedoch nicht.

Im Gegenteil, es würde die durchaus qualitätvolle Gestaltung der Fußgängerzone nachhaltig zerstören. Versuche dazu hat es immer wieder gegeben, so im Kommunalwahlkampf 2020, als die Hagener SPD Hauseigentümer und Einzelhändler an der Elberfelder Straße zu einem Ortstermin eingeladen hatte.

Damals waren Hauseigentümern die Pavillions in der Fußgängerzone ein Dorn im Auge. „Sie verhindern nicht nur die Sicht und Orientierung zwischen den Geschäftslagen, sie nehmen der Innenstadt auch kostbare Aktionsflächen weg“, so Wolfgang Metzner, laut SPD „einzelhandelserfahrener Immobilieneigentümer an der oberen Elbe“.

In der gesamten Fußgängerzone gibt es allerdings nur drei Pavillions, die sämtlich gastronomisch genutzt werden und alle über eine Außengastronomie verfügen. Für die Pavillion-Betreiber wäre also mit Abriss nichts gewonnen, wohl aber für Hauseigentümer wie Metzner, falls die Gastromen deren Mietforderungen bezahlen könnten.

Jochen Schleuter, Geschäftsführer von Wolff 1782, sah schon damals die angeblich „nicht mehr zeitgemäße Gestaltung“ der Fußgängerzone aus Ende der siebziger Jahre als wesentliches Hemmnis für eine positive Entwicklung.

Nicht mehr zeitgemäße Gestaltung? Die Probleme des Einzelhandels im Stadtzentrum liegen ganz woanders. Eine wesentliche Rolle spielt dabei, dass die Planungshoheit de facto in die Hände von Investoren gelegt wurde.

Mitte der 1970er Jahre wurde die Elberfelder Straße zunächst für den Individualverkehr gesperrt. 1978 wurde der erste Bauabschnitt der Fußgängerzone eröffnet, eine zweite und dritte Ausbaustufe unter Einbeziehung der Mittelstraße folgten.

Damals war es noch üblich, das Bestmögliche für die Stadtgesellschaft als Ganzes herauszuholen. Bei Bauvorhaben wurde ein Architektenwettbewerb ausgelobt. So auch für die Fußgängerzone. Siegreich aus dem Wettbewerb ging das Hagener Planungsbüro Krug/van der Minde hervor.

Das Ergebnis hob (und hebt sich nach wie vor) sehr positiv von Einkaufsmeilen umliegender Großstädte wie Dortmund, Wuppertal und Bochum ab. Es entstand ein gegliederter Raum, zu dem neben Baumbepflanzung auch die 2020 angefeindeten Pavillions sowie der durchgestaltete Boden gehören, der jetzt offenbar von einigen Lautsprechern als Cashbremse angesehen wird.

Die Einbeziehung von Kunst im öffentlichen Raum war selbstverständlich. Eva Niestrath-Berger erhielt den Auftrag, Gitter für die Baumscheiben und eine Kleinplastik zu entwerfen. Die Baumscheiben sind zu einem großen Teil verschwunden und die Kleinplastik ist unter einem Holzverschlag verbrettert worden, den ein anliegender Händler – mit Genehmigung der Stadt – aufbauen durfte.

Allein das illustriert den Paradigmenwechsel, den die Planungspolitik seitdem erfahren hat. Nicht mehr die gewählten Volksvertreter sind Herr des Verfahrens, sondern mit dem Geldbeutel winkende Investoren, in deren Hände sich die Mandatsträger freiwillig hineinbegeben haben.

Die Ursünde war im Jahr 2000 die Entscheidung, das Rathaus abzureissen um einem Shoppingcenter Platz zu machen. Angefeuert von der FDP, waren auch CDU und SPD schnell mit von der Partie. Eine Bürgerinitiative, die sich gegen die Abrisspläne wandte, wurde mit großem propagandistischen Aufwand vom heimischen bedruckten Papier aus allen Rohren unter Beschuss genommen. Überregional wurde die geplante Selbstentleibung anders wahrgenommen, Die Zeit titelte damals: „Eine Stadt verkauft sich“.

Allerlei Vorwände wurden konstruiert. So sei es nicht möglich gewesen, einen aus Feuerschutzgründen notwendigen zweiten Ausgang aus dem Gebäude anzulegen – was später bei jedem noch so alten Schulgebäude kein Problem darstellte. Damit schaffte es die Koalition aus Ratsmehrheit und einer Presse, die sich neue Anzeigenaufträge erhoffte, den anschließenden Bürgerentscheid mit relativ knappen 52,5 zu 47,5 Prozent für sich und damit für den Abriss zu entscheiden.

Dass damit die Axt an die Fußgängerzone gelegt wurde, haben die Entscheider – und damit auch die SPD-Fraktion im Rat – hingenommen. Aber es reichte noch nicht. Als ob die Kaufkraft einfach so vom Himmel fiele, standen sie schon wenige Jahre später erneut beim nächsten Investor Gewehr bei Fuß.

2009 stand eine weitere Shoppingmall zur Abstimmung, die Rathaus-Galerie. Und wieder mit Unterstützung der SPD. Stadbaurat Grothe behauptete in der Bezirksvertretung Mitte, „dass sich eine neue Einkaufsmeile nicht negativ auf die restliche Innenstadt auswirken werde. Die Volmegalerie habe nachweislich auch einen positiven Einfluss auf die Gesamtsituation „Innenstadt“ erbracht“, wie es das Protokoll festgehalten hat. Der Beschluss fiel dann einstimmig, in der folgenden Ratssitzung mehrheitlich.

Damit wurde die Fußgängerzone weiter geschwächt, gleichzeitig häuften sich aber bereits die Leerstände in den Einkaufsgaleeren. Durch eklatant hohe Mietforderungen bei seit Jahrzehnten abgeschriebenen Gebäuden ist es vielen inhabergeführten Einzelhandelsbetrieben auch mit bestem Willen nicht möglich, die Elberfelder Straße wieder zu beleben.

Rufe nach einem anderen Bodenbelag wirken vor diesem Hintergrund nur wie ein Ablenkungsmanöver.

Eine Antwort to “Bodenoffensive”

  1. Umleitung: Aus für 60-Millionen-Hotelprojekt in Winterberg, der Viren-Adventskalender, Klimakrise, AfD, extreme Rechte, Maria Callas und mehr… – zoom Says:

    […] Bodenoffensive in Hagen: Das Pflaster soll schuld am Niedergang der Fußgängerzone sein … doppelwacholder […]

Hinterlasse einen Kommentar