Infantile Häschenschule als Samstagabendprogramm im Theater

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Von Christoph Rösner

Sorry, liebes Theater Hagen, aber das muss jetzt sein.

Am Samstag verschlug es mich in die Premiere des „Freischütz“ von Carl Maria von Weber. Zur schnellen Einordnung jetzt schon mal der Universalspoiler: Wäre dies meine erste Opernerfahrung gewesen, wäre es mit Sicherheit auch meine letzte gewesen.

Und jetzt gehen wir in medias res.

Für mich gilt es zwei Fragen zu beantworten.

Erstens: Warum der Freischütz? Zweitens: Warum diese Inszenierung?

Der Freischütz gilt als Inbegriff der deutschen Nationaloper, Uraufführung Juni 1821 im Königlichen Schauspielhaus Berlin. Dass sich mir das nicht erschließt, mag sicherlich an mir liegen. Mag sein, dass ich die Musik öfter hören müsste, um mich reinzuhören, wie man so treffend sagt.

Dies allerdings würde mir nicht gelingen, da allein das Libretto von Friedrich Kind mir bisweilen wirklich psychische und physische Schmerzen bereitet mit all seinen „romantisch“ verklärenden Trällereien und Liedchen und Rezitativen, wo der Jäger noch Mann ist und die jungfräulichen Mägde schmachtend und unschuldig leuchtend auf die Heimkehr des geliebten Waidmanns samt blutiger Beute warten, und dabei bisweilen säuselnd vor liebender Sehnsucht und schmetternd des Deutschen Angst und Ehrfurcht vorm dunklen deutschen Wald samt gefährlicher Wolfsschlucht mir den Zugang endgültig verwehren.

Dass zudem noch sieben Kugeln im Bunde mit dem Teufel und einigen Ingredienzien wie Blei, gestoßenem Glas von zerbrochenen Kirchenfenstern, Quecksilber, drei Kugeln, die schon einmal getroffen haben, das rechte Auge eines Wiedehopfes und das linke eines Luchses gegossen werden müssen, setzt dem Ganzen noch die magische Krone auf.

Regisseur Francis Hüsers lässt aus diesem alchimistischen Gebräu wie von Zauberhand aus dem Bühnenunterboden sieben
panzerhaubitzenähnliche silberne Geschosse emporschweben, doch niemand weiß, warum. (Zaunpfahl Ukraine?!)

Die sängerische Leistung des Ensembles und der Solisten hingegen muss unbedingt gewürdigt werden. Allen voran Angela Davis als Agathe und Dorothea Brandt als Ännchen. Was die beiden Sopranistinnen sängerisch leisten, ist wunderbar. Auch Chor und Extra-Chor des Theaters Hagen bilden einen fulminanten Klangkörper, der einen mit den (Häschen)-ohren wackeln lässt. Der Hagener Tenor Alexander Geller als Max und Bass Insu Hwang als Kaspar überzeugen ebenso wie Dong-Won Seo als Eremit und Samiel (Bass).

Vermutlich ist es diese Leistung, die das Publikum frenetisch applaudieren lässt und dessen langjährige Erfahrung mit dem
Freischützstoff, die ich nicht teilen kann.

Aber nun zur zweiten, und für mich wichtigsten Frage. Warum diese Inszenierung?

Ich kann die eine Frage nach dem Warum wirklich nicht beantworten. Eine derart aus der Zeit gefallene Deutsche Oper mit all ihren deutschtümelnden, männerdominanten, antifeministischen Klischees hat für mich in der heutigen Opernlandschaft eigentlich nichts mehr zu suchen. Eine Ausnahme würde ich dennoch begrüßen: wenn sie bis ins Bizarre hinein ironisch verzerrt und gebrochen inszeniert würde.

Francis Hüsers mag dies in monatelanger Vorbereitung, wie er bei der Premierenfeier selbst und nicht ohne Stolz verkündete, vorgehabt haben. Herausgekommen allerdings ist das genaue Gegenteil.

Aus Gründen, die vermutlich nur er kennt, hat er die Handlung seines Freischütz in der Häschenschule angesiedelt. Ausgerechnet dieses 1924 erstmals erschienene Kinderbilderbuchmachwerk von Albert Sixtus, das bis heute mit mehr als 2,5 Millionen verkauften Exemplaren zu den beliebtesten Bilderbüchern überhaupt gezählt wird und das Elke Heidenreich als „eines der schauerlichsten Kinderbücher überhaupt“ bezeichnete, nimmt sich der Regisseur als Vorlage für die Handlung.

Folgerichtig tragen alle Akteure lange Hasenohren und lustige weiße Stummelschwänzchen, und der unvorbereitete Zuschauer weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. Und natürlich ist Schultag für die Häschen im altbackenen deutschen Wald mit Oberlehrer Lampe samt Einsteckuhr und Rohrstock.

Mit viel Wohlwollen könnte man diese gesamte Inszenierung als Satire auf eben jene restaurative, höchst reaktionäre Pädagogik der Zwanziger verstehen, wenn es einem etwas leichter gemacht würde. Denn alles, die Texte (Jetzt ist wohl ihr Fenster offen, Und sie horcht auf meinen Schritt, Läßt nicht ab vom treuen Hoffen: Max bringt gute Zeichen mit! Wenn sich rauschend Blätter regen, Wähnt sie wohl, es sei mein Fuß; Hüpft vor Freuden, winkt entgegen …) die Musik, das Bühnenbild und die Ausstattung samt Hasenohren lassen leider genau das Gegenteil vermuten.

Wenn man dem Imperativ, Theater sei Bildungsanstalt, folgt, ist es dann wirklich angebracht, der erschreckenden Infantilisierung unserer Gesellschaft, sei es im ARD/ZDF-Abendprogramm oder in den sozialen Medien, derart hasenohrenwackelnd noch Zunder zu geben?

Einziger Lichtblick – immerhin – am Ende des zweiten Akts staunt das Publikum in all dem romantisch verklärten Häschengehoppel über ein dekonstruvistisches Element. Die Auflösung des deutschen Waldes bei Sichtbarwerdung der kalten, glitzernden Traversenelemente, die kreuz und quer den zährenreich-seufzenden Blick stören (Foto: Theater Hagen).

Aber ob das reicht?

Freischütz

3 Antworten to “Infantile Häschenschule als Samstagabendprogramm im Theater”

  1. KranichMuss Says:

    Nanu, Kritik an Kunstwerken, wie das ? An, sich hinter ihren Rollen und Leistungen versteckenden und teilw. vor Abgehobenheit senkrecht daher stolzierenden, übereitlen Protagonisten der Kunstszene ?
    Wer muß (!) da bei obligatorischen standing ovations nicht mitmachen, hocherregt wie einer nach dem anderen vor- und neben mir hochspringen, frenetisch in die Hände klatschen ( notfalls trampeln ) und – bis Herzkasper – rot anlaufen ? Macht man so ?
    Ist es nur der vibrierende Bauch ( mit hochintellektuell verschwurbeltem Kopp drüber ) ?
    Oder ist es das Herz ?
    Theater ist Bildungsanstalt ? Welche Bildung, Herzensbildung oder was ?
    König/in oder unter den Brücken ?
    Has hüpf

  2. Ulrike Schultz Says:

    Wir waren über die Inszenierung etwas erstaunt, wobei wir, unsere Kinder und Enkel die Häschenschule sehr geliebt haben. Eine kleine, geordnete Welt. Nach der Vorstellung habe ich im Netz gegoogelt, was es denn ansonsten in letzter Zeit für Inszenierungen des Freischütz gab: In München: „Schmucke Hotelsuite statt düsterem Wald“, in Kassel: „Kriegsversehrte treffen auf Alptraumbilder“ („zwischen Otto Dix und Rocky Horror Picture Show“), Amsterdam: „Kirill Serebrennikov überträgt er den Kampf um den Erfolg aus der Welt der Jäger in die der Künstler.“ und da wurde mir die Hagener Inszenierung immer lieber: die war wenigstens nicht verstörend, herrliche Musik, wunderbare Sänger, der Text ist in der Tat zum Vergessen. Dass es um eine patriarchale, autoritäre Gesellschaft geht – geschenkt, die Oper spielt ja nicht heute.

  3. KranichMuss Says:

    Häschen-Schulen sind süß, streng, kindlich und romantisch, auch für uns, nicht nur die Kinder; hier steht deshalb auch eine aus Holz.
    Ich sehe sie quasi als Vorhof des Paradieses, welches es evtl. gibt ( Atheisten glauben auch was ), dort dann allerdings wohl ohne Lehrer/in.
    Wer weiß denn, ob wir, statt vom Affen, vom Hasen abstammen, obwohl die Evolutionstheorie m. W. immer fraglicher geworden ist.
    Kindlich jedoch ist etwas anderes als kindisch, und da stoße ich erst jetzt darauf, daß mit Infantilisierung etliche andere Begriffe wie Autoritätsgläubigkeit, Hörigkeit etc. erfaßt sind.
    Vielleicht aber sind irgendwann keine Gesellschaften ( jeder Art ) mehr nötig und auch kein Theater, pulverisiert durch Authentizität und Liebe ( hömma.. ).
    Was wissen wir schon… . Nur, hier ist nicht ALLES gut, das schon.

    p.s. : wer spinnt eigentlich noch ?

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