„Bürger machen ihre Zeitung selbst“

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Vor 40 Jahren versuchten Hagener, der örtlichen Monopolpresse etwas entgegenzusetzen: Das Hagener VolksBlatt. Zeit für einen Rückblick.

hvbkopfvon Bernhard Sander*

Hagen Mitte der 1970er Jahre. Der Ratssaal als kommunalpolitisches Zentrum lag noch im Herzen der Stadt (und nicht wie heute im Hinterhof), das Pressehaus nur wenige Meter entfernt in der Mittelstraße. Mittendrin, auf ziemlich genau der Hälfte der Strecke, floss im Tönnchen schon mittags das Pils in Strömen.

Beherrschendes Möbelstück des Lokals war ein langer Tresen; „Stehbierhalle“ war eine damals geläufige Gattungsbezeichnung für Einrichtungen dieser Art. Hier trafen die Protagonisten beider genannten Häuser aufeinander: die aus dem Rat und die von der Presse.

Beide Gruppen waren auf eine bestimmte Art und Weise aufeinander angewiesen. Die Einen mussten die damals noch existierenden beiden Lokalteile füllen, die Anderen wollten sich in den Blättern wiederfinden. Im Tönnchen diffundierten die Informationen durch den Tabakrauch von der einen zur anderen Seite und beide waren zufrieden. Das Spiel über Bande funktionierte schon damals recht gut.

Auf der Wehringhauser Lange Straße gab es (und gibt es noch immer) eine andere Lokalität, die, wie das Tönnchen, ebenfalls nach der Miniausgabe eines Gefäßes benannt war. Dort, im Fässchen, startete vor gut 40 Jahren der Versuch, der einvernehmlichen Gemengelage zwischen heimischer Presse und Politik etwas anderes entgegenzusetzen.

Im Hinterzimmer der Gaststätte traf sich regelmäßig eine Gruppe junger Hagener, um eine neue Art von Öffentlichkeit herzustellen. Es sollte ein Blatt „von unten“ werden, gemacht von Aktivisten, Bürgerinitiativen und „Bewegten“, die sich mit dem Kartell aus Rat- und Pressehaus nicht abfinden wollten; „Bürger machen ihre Zeitung selbst“ hieß das Motto.

Die erste Ausgabe dieses Mediums, einer Monatszeitung, erschien im November 1976. Das Hagener VolksBlatt war geboren.

Gegenöffentlichkeit

So lautete das Ziel des Hagener VolksBlatts (HVB). „Ca. 80 interessierte Bürger, Lehrlinge, Arbeiter, Schüler, Sozialarbeiter, Hausfrauen und Studenten“ wollten ein „Lokalblatt, das die Hagener Probleme beim Namen nennt … die Informationen bringen, die die Hagener Tagespresse verschweigt oder entstellt wiedergibt“. Sie wollten eine Zeitung von unten, „die da oben“ keilten schon bald hysterisch zurück und schlugen dabei über die Stränge.

Ein Trägerverein wurde bereits am 28.6.1976 gegründet. Die Gründer waren getrieben von der Sorge, dass es nach der Einstellung der Hasper Zeitung und dem Übergang der Westfälischen Rundschau in den  Konzern der WAZ „nicht mehr lange dauern wird, bis es in Hagen nur noch eine Tageszeitung geben wird“ (Selbstdarstellung Okt. 1976), ein Zustand der de facto heute eingetreten ist. Demensprechend bestimmte die Satzung als Vereinszweck die Förderung der „materiellen und personellen Voraussetzungen einer Unternehmerfreien Zeitung“. Die Null-Nummer nennt eine Auflage von 5000 Exemplaren.

Mitmach-Zeitung

Man wollte sich auf Initiativen stützen. Zu Anfang machten mit: Bürgerinitiative Oedeweg, Initiative Abenteuerspielplatz Loxbaum, Projekt Stadtentwicklung Haspe u.a. Die Schnittmenge zwischen Initiativen und Volksblatt waren Studierenden der Sozialarbeit aus dem Alten Holz. Das Abenteuer HVB wäre ohne ein spezifisches Umfeld der Nach-68er nicht denkbar.

Heute nahezu unvorstellbar waren die Arbeitsformen. Die Initiative traf sich jeden Dienstag im Hinterzimmer des Fässchen am Wilhelmsplatz bei Bier und Cola. Was nicht in der Vereinssatzung geregelt war: Die zufälligen Kollektive der Dienstagsrunden mit 10, 20 und mehr Teilnehmenden fungierten faktisch als Redaktion. Zum Selbstverständnis gehörte auch das Prinzip, dass Artikel nicht namentlich gekennzeichnet wurden. Nur die Kontaktadressen von Initiativen wurden veröffentlicht, markiert mit einem großen Punkt, der aufforderte: „Hier können Sie mitmachen“.

Da das Spektrum der Aktiven auch eine Reihe von Menschen umfasste, die arbeiteten oder den sogenannten zweiten Bildungsweg gegangen waren, konnte man auf deren handwerklichen Fähigkeiten zurückgreifen: Grafik mit Letraset, Texterfassung mit Schreibmaschine, Photographie usw. Der Vertrieb erfolgte im Handverkauf auf den Wochenmärkten und bald auch über eine wachsende Zahl von Kiosken, die keine Rücksicht auf die Konkurrenz für den WAZ-Konzern nehmen wollten.

Das Blatt hatte monatlich in der Regel acht Seiten. Das Volksblatt hatte von der ersten Nummer an immer eine (teure) Bildstrecke, z. B. schon in der ersten regulären Ausgabe über die Behinderung von Rollstuhlfahrern im öffentlichen Raum, dazu Stadtteil-Reportagen. Ebenso regelmäßig: Terminkalender. Fester Bestandteil war die Seite „Hagener Bürgerinitiativen stellen sich vor“, die ohne Zensur von diesen selbst gestaltet wurde. Die Macher legten großen Wert darauf, die Leserresonanz zu dokumentieren und forderten zum Dialog mit dem Dienstagskollektiv auf. Fast alle abgedruckten Leserbriefe waren voller Lob, empfanden das Blatt aber als zu lang, zu kompliziert geschrieben.

hvb-1Bilderbuchstart – Gegen die da oben

Die detailgenauen Berichte in der Nullnummer über die Pressekonzentration im WAZ-Konzern und Vorgänge bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) schlugen hohe Wellen. Die Auseinandersetzung mit so mächtigen Gegnern waren die Hagener nicht mehr gewohnt. Die völlig überzogenen persönlichen Reaktionen von WAZ-Geschäftsführer Grotkamp und dem AWO-Geschäftsführer sorgten für Auflage beim Volksblatt. Grotkamp ließ drei Rechtsanwaltsschreiben vom Stapel.

Das HVB beschrieb, wie der SPD-Landtagsabgeordnete Nolzen als Geschäftsführer der AWO versucht hatte, die Gründung eines ihm genehmen Betriebsrates in einer Teileinrichtung zu betreiben, um das gewählte Gremium zu verdrängen. Es gab u.a. ein ExtraBlatt am 15.12.76. Für zwei Betroffene wurde die Kündigung ausgesprochen, die später zurückgezogen wurden (Nr.3).

Die AWO-Auseinandersetzung war über andere Volksblätter bis nach Wuppertal, Köln, Dortmund, Münster und eben auch in die SPD-nahe Westfälische Rundschau gelangt. Innerhalb der SPD wurde Nolzens Abwehrkampf gegen Betriebsräte, „Kommunisten und Chaoten“ des HVB zunehmend peinlich und ein Antrag gegen Nolzen auf dem SPD-Unterbezirksparteitag gestellt. Den dokumentierte das Volksblatt umgehend ebenso sowie den Brief Nolzens an die Delegierten. In der Sache obsiegte die Belegschaft und damit das Volksblatt.

In einem anderen Fall wurde der verantwortliche „Stadtverbaurat“ Böhme bloßgestellt weil er die Dokumentation seines Auftritts (auf Kassette!) angriff und über die Gesetzeslage zur Pressefreiheit instruiert werden musste.

Das Hagener Volksblatt war einerseits stets den Fakten verpflichtet, aber es blieb dabei parteiisch und persönlich. Gegenüber mächtigen Interessengruppen und ihren Vertretern war die Lage des HVB und seiner Macher prekär. Es ging für das VolksBlatt geradezu existenziell um die Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit.

Daher war man von Beginn an auf den Erhalt der Freiräume für die politische Linke bedacht und berichtete auch über Polizeiübergriffe: Auf einen Schüler, der das Polizeipräsidium fotografiert hatte, auf Demonstrationen türkischer Gruppen, dokumentierte die Aktionen gegen die Preiserhöhung bei der Hagener Straßenbahn.

Man kommentierte, wie in der WP /WR die Vorgänge um eine Ausstellung des DGB zur Militärdiktatur in Chile dargestellt wurden, wie der DGB der CDU-Kritik nachgibt und der CDU-Bundestagsabgeordnete Reddemann die WP instrumentalisiert, um Chiles Diktatoren reinzuwaschen.

Das Hagener VolksBlatt fühlte sich immer dem verbunden, was man später „die sozialen Bewegungen“ nennen sollte. Die Zeitung war ganz nah vor Ort:

Bürgerbeteiligung war ein Schlagwort der emanzipatorischen Bewegung, an dem die damals noch im Alten Holz residierenden angehenden Sozialarbeiter stark interessiert waren, die einen Teil der Aktivisten des Volksblatts stellten und z. B. hinter den vielfältigen Abenteuerspielplatz-Inis standen. Die geplante Umgestaltung Fleys und die Lenne-Umbettung, Projekte wie der drohende vierspurige Ausbau der Buscheystraße wurden behandelt und die betroffenen Einwohner kamen selbst zu Wort, ebenso wie bei Mieterproblemen. Kritik am Eilper Monster Hochstraße B54, Verkauf der Werkswohnungen Klöckner in Haspe, Umgestaltung Fley. „Wer spricht denn noch von Heimat“ hieß ein Film über Sanierung in Haspe.

Ein Schwerpunkt wurde die Umgestaltung der Innenstadt und die Schaffung der Fußgängerzone vom Rathaus, Kampstraße, Elberfelder Straße. Filz allenthalben: die von der IHK vorgeschlagenen Planer traten als Beteiligte in den Wettbewerben wieder auf. Man ist heute verblüfft über die Aktualität: „Zentrum des Einkaufs“, „Stadtkultur“, „qualifizierte Architekten“ klingelten die Stadtspitzen wie einige Jahrzehnte später. Mit dem Unterschied, dass die SPD und die Jusos damals noch Bürgerbefragungen in der Innenstadt organisierten.

hvb7Soziale Bewegung war aber auch der kritische Bezug auf die Organisationen der Arbeiterbewegung. Während die Rolle der Gewerkschaft ÖTV im AWO-Konflikt noch vorsichtig und zögerlich bewertet wurde, hatte man mit der Berufung des ÖTV-Geschäftsführers in den Aufsichtsrat der Straßenbahn-AG mit prognostischem Gespür bereits auf die kommenden Konflikte bei der Fahrpreiserhöhung hingewiesen.

Über Arbeitskämpfe beim Grotkamp-Druckhaus „Westdruck“ und die Repression gegen den Betriebsratsvorsitzenden Horst Wisotzki wurde im Volksblatt berichtet, während die Blätter der WAZ-Gruppe das Thema verschwiegen. Die lokalen Auswirkungen der Stahlkrise, Betriebsversammlungen, Stellungnahmen von Betriebsräten zur Fahrpreiserhöhung usw. waren Teil der laufenden Berichterstattung. Schon bei der Auseinandersetzung mit dem WAZ-Konzern wurden die betriebswirtschaftlichen Optimierungsmechanismen breit dargestellt (von wegen die Leser sind mit komplexen Zusammenhängen überfordert!).

HVB berichtete von Auseinandersetzungen des BR-Vorsitzenden der Hasper Hütte mit K-Gruppen. Denen „die Mitarbeiter dieser Zeitung distanziert gegenüber stehen, auch weil oft durch Selbstüberschätzung und dogmatisches Auftreten dieser Gruppe eine solidarischen Auseinandersetzung schwer gemacht wird“. Der Nachruf auf Paul Harig zeigt exemplarisch das politische Selbstverständnis, dass die Zeitung sich zur DKP (KPD) kritisch solidarisch aber distanziert positionierte.

So konnte man selbstbewusst Fazit ziehen: „Mit unserer Ausgabe zum 1. Mai haben wir zum ersten Mal eine Zeitung fast ganz ausverkauft, obwohl unser Versuch, mit dieser Ausgabe Probleme der Arbeitswelt anzusprechen, oft als zu unkonkret und oberflächlich kritisiert wurde, Dennoch freuen wir uns, dass sich ein Leserkreis herausgebildet hat, der der geistigen Diät von WP / WR überdrüssig ist und Informationen sucht, die helfen können, Problem und Missstände in Hagen zu beseitigen.“ („Lieber Leser …“  – Leserinnen gab es offenbar nicht).

Alternatives Ökotop

Am Hagener VolksBlatt lassen sich die Spuren der sozio-kulturellen Entwicklungen entziffern. Die sozial-geografische Verankerung des HVB blieb der Wilhelmsplatz.

So findet sich die Ankündigung der Eröffnung des Frauenzentrums Iserlohner Str. 19 und der Frauenkneipe mittwochs Bei Rainer. Es folgen in späteren Ausgaben ganze Seiten zur Lage berufstätiger Frauen, ungleicher Bezahlung usw. 1977 war erst das Recht geschaffen worden, dass Frauen ohne Einwilligung des Ehemanns eine Erwerbsarbeit aufnehmen konnten.

Die Kneipe Bei Rainer lebte von der Leserschaft und subventionierte ihrerseits das Blatt per Anzeige aus dem Bierumsatz. Rainer überwarf sich später mit diesem Teil seiner Kundschaft. Die Positionen von Rainer Ahrens und dem Frauenkollektiv wurden im HVB dokumentiert. Da diesem Widerstandsnest am Wilhelmsplatz die Nachtkonzession entzogen worden war, sah er sich gezwungen, seinen Ruhetag abzuschaffen, an dem die autonome Frauenkneipe Wirtschaft machte.

Ebenso berichtete das HVB über die Aktivitäten der lokalen alternativen Kulturszene (Folkclub, E.Roc). In einer Kleinanzeige wird zur Gründung eines Filmclubs aufgerufen, der dann endgültig 1977 an den Start ging mit durchaus politischem Programm.

An den Anzeigen lässt sich der Einzug der Alternativ-Kultur in die Stadt ablesen: „kollo“ verschenkt per Kleinanzeige Kefirpilze. Das intellektuelle Umfeld repräsentieren die Anzeigen von „das neueste“, Zuelch, Wagenbach, Trikont-Verlag. Dann folgten die Alternativökonomie, Druckereien, Achims Teelädchen, Folk-Boutique van Laak, La Mano (Kunsthandwerk). Während die Szene noch links tickte, eroberte die Marktwirtschaft die Szene. Einer der Vereinsgründer war jahrelang in der Buchhandlung Quadrux engagiert.

Atom- und andere Spaltpilze

Aufgrund der intensiven Befassung Einzelner mit der Kommunalpolitik wurde ein Landesentwicklungsplan im HVB bekannt gemacht, der sonst in den Gremien vergraben geblieben wäre, – mit einem möglichen Kernkraftwerk-Standort in Hagen-Halden. Danach wurde die Anti-Atom-Bewegung zum Dauerthema. Das Volksblatt mutierte nun auch zum organisierenden Akteur mit Filmabenden und Info-Veranstaltungen. Das Thema nahm immer breiteren Raum ein. Demoberichte aus Brokdorf, Kalkar, eine ganze Seite über den von französischen Polizisten zu Tode gebrachten  AKW-Gegner Vital Michalon führten immer weiter von Hagen weg. Aber dieser politische Aktivismus des Blattes, der „Spontis“ und des Spektrums, das zwei Jahre später die “Grünen“ gründen sollte, wurde bald zu einem Problem. Zweifelhafte „Selbsthilfetipps“ fürs Schwarzfahren führten zu internem Ärger. Seyfried-Karikaturen breiteten sich im Blatt aus, ganz solidarisch ohne Honorar-Tantiemen versteht sich.

Einige begannen weitere Projekte. Das nahm manpower aus der Zeitung, die jede Hand brauchte z.B. im Kneipenverkauf. Die z. T. Substanzen-befeuerte „Selbstverwirklichung“ kollidierte mit den Erfordernissen der professionellen Arbeit, politische Differenzen (lokaler Bezug – nationale Themen, Aktivismus oder Journalismus) spitzten sich zu. Der Elan stockte und versackte bei Rainer oder im Fässchen. Mit den entsprechenden Konsequenzen, die wiederum Produktion und Vertrieb belasteten.

Noch verteidigten Teile des Gründervereins den Anspruch des Blattes auf Seriosität und Parteilichkeit, doch der Streit mit den „Spontis“ intensivierte sich. Statt Gegenöffentlichkeit ging es einem Teil um „Selbstverwirklichung“ der Szene. „Ohnehin wächst uns die Arbeit mittlerweile über den Kopf“ (Nr. 3 Februar 1977) deutet man dem „lieben Leser“ bereits an, dass trotz des immensen Erfolges die internen Spannungen zunahmen.

Die angekündigte Doppelnummer erst am Ende des Sommers 77 „endlich nach großen Schwierigkeiten und langer Verzögerung vor“. Die „Urlaubszeit und interne Diskussionen“ werden als Grund angeführt. Die dem lieben Leser angekündigte Lösung sollte bestehen in der „Planung einer Wochenendtagung, auf der alle Meinungsverschiedenheiten und Zukunftsvorstellungen behandelt werden sollen“.

„Zum Preis: Das Volksblatt war stets auf 8 Seiten kalkuliert. Mit Müh und Not war es uns möglich, auch 10 Seiten für nur 50 Pfennig zu verkaufen. Da diese Ausgabe allerdings 12 Seiten stark ist, müssen wir zwei Groschen drauflegen“, versuchte man die finanziellen Schwierigkeiten und Unregelmäßigkeiten in der Kassenführung zu verdecken.

Die journalistische und technische Mitarbeit am Volksblatt blieb bis zum Schluss ehrenamtlich, da die wirtschaftliche Basis des Blattes prekär war und blieb. Spenden und Anzeigen blieben eine dankbar genommene Ergänzung, doch das Blatt musste sich aus dem Vertrieb tragen. Daher war der Handverkauf durch die Aktivisten in Kneipen, vor Schulen und auf Festen eine tragende Säule.

Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen war das Volksblatt-Geld in Subkultur-Projekte abgezweigt worden, so lief ein Gerücht. Vereinsmitbegründer Jörg Hoppe war im Juni 77 nach Sympathien für die Wiener Aktionisten-Kommune und in einer Männergruppe ausgestiegen. Er lancierte bald darauf die Musikszene um „Extrabreit“ und sollte einige Jahre später mit sexistischen Castings-Shows im Unterschichten-TV zu noch mehr Geld kommen. Sänger Kai Hawaii hockte ebenfalls im Fässchen beim VolksBlatt.

„Zusammenfassend lässt sich sagen, … dass es ein schwerer Fehler war, wichtige grundsätzliche Gespräche über Aufbau und Zielgruppe einer Alternativzeitung ständig zu verschleppen“. „In Juni war dann nämlich der Knall da: Mitarbeiter, die die Brocken hinwarfen, allgemeine Lustlosigkeit etc. Wir hoffen, dass wir jetzt über den toten Punkt hinweg sind. .. Mittlerweile ist der Volksblattverein über ein Jahr alt und das heißt, dass er die seit langer Zeit ausdauerndste und wichtigste kritisch-politische Initiative am Ort ist. Das ist für uns Verpflichtung …“

Das sollte sich als Selbsttäuschung erweisen. Die verbliebenen Macher scheiterten am Gegensatz von Selbstüberforderung und Selbstverwirklichungswunsch.

Rückblickend war das Hagener VolksBlatt trotz seines Scheiterns etwas, was im Business-Jargon „Inkubator“ (ein Wachstumsbeschleuniger) genannt wird. Sein positives Erbe als lokale Gegenöffentlichkeit trägt heute der Doppelwacholder weiter. Aber auch gute Ideen brauchen aktive Mitarbeit und materielle Ressourcen.

* Autor Bernhard Sander war Mitbegründer des Hagener VolksBlatts. Der Politikwissenschaftler ist heute Redakteur der marxistischen Zeitschrift Sozialismus und Mitglied des Wuppertaler Stadtrats für die Partei DIE LINKE.

6 Antworten to “„Bürger machen ihre Zeitung selbst“”

  1. Umleitung: Coup in den USA? Schulz als Lückenbüßer? Emma emanzipiert? Correctiv Wahrheitsprüfer? Sekundarschulen in Not? Hagener VolksBlatt. Konzerthaus Dortmund ohne Intendant! | zoom Says:

    […] „Bürger machen ihre Zeitung selbst“: Vor 40 Jahren versuchten Hagener, der örtlichen Monopolpresse etwas entgegenzusetzen: Das Hagener VolksBlatt. Zeit für einen Rückblick … doppelwacholder […]

  2. hansimäuschen Says:

    Ein sehr interessanter Bericht vor dem Hintergrund der Jetztzeit, der allerdings gleichzeitig desillusionierend wirkt. Noch immer regiert der Grotkamp – Clan und spinnt die jetzige Omma Petra G. aus Essen ihre Fäden.
    Insbesondere nach Zusammenlegung der WP/WR Redaktionen ist es einseitige Berichterstattung und geschrieben wird offenbar ganz im Sinne der politischen Ausrichtung der Anzeigen-Kundschaft ( merkt die eigentlich aufgrund der stetig rückläufigen Auflagen- u. ABO-Zahlen nicht, daß zwangsläufig über Jahre immer weniger Leser die Anzeigen lesen ? Aber vielleicht sieht auch dieses Klientel keine Alternative.. ). WP sehenden Auges an die Wand ?
    Auch ist der Eindruck, daß nicht nur über Politik berichtet, sondern selbst Politik gemacht werden soll ( Stadtredaktion statt Stadtrat ) und bestimmte Parteien möglichst kaputt geschrieben werden sollen. Da fällt man als Leser gern mal drauf rein, was ?
    Wenn man das liest, verliert sich der Glaube, daß örtlich – öffentlich auch andere Meinungen in schriftlicher Form zu Wort kommen.
    Ich kann als Nichtinsider weder beurteilen, ob dies ehrenamtlich oder – möglichst – eben professionell auch nur denkbar ist. Letzteres ( wie auch evtl. ehrenamtlich ) müßte natürlich wirtschaftlich tragbar sein, und wie verhielte es sich dann mit ( Rest – ) Anzeigen-Kunden ? Allerdings ist seitdem die Kaufkraft deutlich gestiegen, so daß sich zum.viele Leser heutzutage einen angemessenen Zeitungspreis leisten könnten und dies wohl auch tun würden. Schwer abzuschätzen ?
    Es scheint, wenn man sich die Handhabung von Zensur beim WP-Onlineportal anschaut und auch über nicht veröffentlichte Leserbriefe spekulieren darf, daß einzig Pressefreiheit, nicht aber Meinungsfreiheit gewünscht ist. Bedenklich ? Nöh, aber tun wir halt mal so als wäre es anders, was ? = Funke – Clan.
    Insgesamt müssen wir wirklich mehr als froh sein, daß es zumindest den Doppelwacholder ( auch wenn nicht Alle einen PC besitzen ) gibt, eher per Zufall ( Link im WP-Online-Portal :- ) entdeckt.
    Dafür bescheidenen, aber herzlichen Dank.

    p.s. : Schön wäre es, wenn hier ein nicht nur vereinzelter Meinungsaustausch zustande käme ( s. auch Autor Sander zu damals), bei Online-WP wird er auch immer einzelner ( vielleicht auch durch nicht mehr sichtbare Löschungen / Sperrungen, um den Anschein zu wahren ? ) …..

  3. Dieter Berger Says:

    Zur Anschauung gibt es hier ein paar Nummern des HVB:

  4. Jürn Says:

    Bis wann existierte das VolksBlatt eigentlich genau?

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