„Big Bang Siegfried“

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Drei durchgeknallte Finnen und ein vom Lachen zerrüttetes Hagener Publikum

von Christoph Rösner

Passen die Quantenphysik samt Urknall und Suche nach dem Gottesteilchen – dem Higgs-Boson – mit Jonny Cash und Richard Wagner zusammen? Und alles zusammen samt Orchester auf einer Bühne? Aber selbstverständlich!

Sie verstehen nichts von Quarks, der Theorie des Big Bangs und der Teilchenphysik, lieben dafür aber Ihren Wagner oder Cash? Aber Sie wissen doch bestimmt, was geschieht, wenn Materie auf Antimaterie trifft? Es gibt einen riesigen Knall, die Elementarteilchen fliegen wild und ungebändigt durcheinander, bevor sich alles in Nichts auflöst.

Es war ein riesiger, 90-minütiger Lachknall, der am Sonntagabend die Grundmauern des alten, bedrohten Theaters in Hagen erschütterte, ausgelöst von drei in Deutschland noch völlig unbekannten Musik-Kabarettisten aus Finnland.

Die Geschichte ist kurz erzählt: Sie spielt auf der legendären Route 66 im Auto zwischen Chicago und Los Angeles.

Bariton Jouni Bäckström hat endlich sein 10-jähriges Gesangsstudium beendet und will gemeinsam mit seinem Bruder Petri Bäckström (Tenor) auf eine Tour durch Amerika gehen. Weil Petri sich eigentlich auf seinen großen Part als Siegfried in Richard Wagners gleichnamiger Oper vorbereiten muss, nimmt er kurzerhand seinen Klavierzauberer Jukka Nykänen mit auf die Reise. Der wiederum geht mit der Komposition seiner Oper ´Das Gottesteilchen´ schwanger.

Wer jetzt denkt, daraus kann sich doch nur Chaos entwickeln, liegt völlig richtig. Aber es ist ein wunderbares Chaos.

Das wunderbarste Chaos, das man sich denken und wünschen kann.

Allerfeinste Slapstick-Einlagen wechseln sich ab mit musiktheoretischen Erläuterungen zur leitmotivischen Kompositionsweise bei Wagner.

Und jeder erkennt sofort das Motiv, auch wenn es dem Herrn der Ringe entstammt – oder dem Ring des Nibelungen, darauf kommt es nicht so genau an. Auch Darth Vader mischt mit und alles wirbelt wild durcheinander im Country-Reigen. Und immer wieder tritt Richard Wagner (Jouni Bäckström) auf: Guten Abend … ich bin Richard Wagner … und schon sind wir bei Siegfried. Und Siegfried (Petri Bäckström), blond gelockt, tritt auf und schmiedet sein Schwert Nothung – selbstverständlich mit eigenem Leitmotiv – das ihm Richard Wagner, jetzt plötzlich als Mime, unterschiebt.

Vier Szenen aus Siegfried nehmen ihren furiosen Lauf, und auch das hohe A entlässt Petri nach mehrmaligen Versuchen unter donnerndem und anfeuerndem Applaus virtuos in den Saal. Das er zwischendurch noch den Lindwurm Fafnir – gespielt von Jouni, dem Klavier und Jukka – als Schwanz – tötet, versteht sich von selbst.

Und Jukka, an seinem Klavier? Der hält sich nicht lange an seinem Platz. Samt seinem Instrument rotiert er über die Bühne, mal liegend, mal stehend – überhaupt: dieses Klavier. Es ist Umkleideraum, Drachen, Auto und Radio in einem – ach ja, und spielen kann es auch.

In jedem Fall sind die drei Finnen wohl das Respektloseste und das Beste, was man derzeit auf deutschen und europäischen Kabarettbühnen zu sehen bekommt. Beweis? Wenn sie mit drei Melodicas Wagners Walkürenritt zerschreddern, oder, gegen Ende, Petri mit einem Laubbläser die Ring-Noten von der Bühne fegt, nicht ohne auch Richard selbst ordentlich durchzublasen, der das sichtlich zu genießen scheint. .

Und dazwischen immer mal wieder Jonny Cash oder ein Blues, das Orchester spielt Born to be wild oder eine Cup Song-Version von Strawinskys Le sacre du printemps.

Viktor Borge, Hans Liberg und Monty Python ließen grüßen an diesem wunderbaren Abend, der GMD Florian Ludwig das „größte Muffensausen“ vor dieser einzigartigen Deutschland-Premiere beschert hatte.

Es war unnötig.

 „The fabulous Bäckström Brothers“ samt ihrem Pianisten und Akrobaten Jukka Nykänen haben ihr Programm erstmals – und leider nur dieses einzige Mal – in Deutschland mit „großem Besteck“ – sprich Orchester Hagen – gespielt. Damit haben sie unter der Leitung Florian Ludwigs einen Big Bang der Extraklasse explodieren lassen und bewiesen, dass selbst in diesen Zeiten in Hagen noch laut, befreiend und lang anhaltend applaudiert und gelacht werden kann.

Zu wünschen bleibt nur noch eines: dass diesen drei wunderbar durchgeknallten Finnen eine großartige Karriere bevorstehen möge, angeschoben, wie so oft, von den ebenfalls großartigen Musikern des Hagener Orchesters.

Eine kleine Kostprobe der Fabulous Bäckström Brothers:

2 Antworten to “„Big Bang Siegfried“”

  1. Sabine Klose Says:

    Witzig! Frech! Intelligent! Ich bin wirklich erschöpft nach Hause! Danke an das Theater, der Abend war irregut!

  2. drhwenk Says:

    „Es gibt einen riesigen Knall, die Elementarteilchen fliegen wild und ungebändigt durcheinander, bevor sich alles in Nichts auflöst.“

    Es gibt genügend differenzierte Feldenergien, in die sich das „aufflöst“. Aber sehen und hören tut man da „direkt“ nicht mehr unbedingt viel von , das stimmt.

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