Merkantile Schwindsucht

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Hagener Einzelhandelsprobleme werden schöngeredet

Die Vorweihnachtszeit ist die Zeit der Verkünder froher Botschaften. Motto: Der Kaufrausch läuft – alles wird gut. Ganz vorn mit dabei sind alljährlich die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und im lokalen Bereich – wer wollte noch daran zweifeln – die Hagener Presse.

Die machte am Mittwoch die Einschätzung aus Händlerkreisen zur Überschrift, der vergangene verkaufsoffene sei „der beste Sonntag aller Zeiten“ gewesen. Das mag im Einzelfall so gewesen sein, übers Jahr betrachtet sieht die Welt allerdings viel schlichter aus.

Betrachtet man die nüchternen Zahlen, bleibt von den gerne gepriesenen „verkaufsoffenen Sonntagen“ nicht viel übrig. Was an diesen speziellen Sonntagen in der Kasse klingelt, fehlt dafür an anderen Tagen. Der Euro kann eben nur einmal ausgegeben werden, da helfen auch keine Jubelmeldungen.

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind eindeutig: Die Umsätze des deutschen Einzelhandels (in konstanten Preisen) lagen 2012 noch unter denen des Jahres 1994. Beschönigungen und PR-Artikel helfen da nichts. Ein Blick in die Fensterhöhlen leerstehender Ladenlokale vermitteln schon eher einen Eindruck der Realität. Und die zeigt ihr trostloses Gesicht längst nicht mehr nur in Randgebieten, sondern auch in Stadtteilzentren und in der City.

Selbst in der mit vereinten Kräften von Politik und Medien hochgejazzten Volme-Galerie stehen schon jetzt etwa 15 Ladenlokale leer. Und der richtige Exodus könnte kommen, wenn erst einmal das bislang nicht einmal im Rohbau fertig gestellte neue Verkaufszentrum namens „Rathaus-Galerie“ direkt nebenan eröffnet wird.

In diesen neuen Konsumtempel will u.a. auch der Elektromarkt Saturn abwandern, der an seinem jetzigen Standort zwei ganze Etagen belegt. Eine entsprechende Nachnutzung der riesigen Flächen ist bisher nicht bekannt. Die Ankündigung des Managements, in großem Stil investieren zu wollen, erscheint vor diesem Hintergrund eher zweifelhaft.

Trotz immer wieder platzierter Erfolgsmeldungen ist die Entwicklung des Hagener Einzelhandels in Wirklichkeit völlig undurchsichtig. Es gibt nämlich keine konkreten Zahlen. Alle Veröffentlichungen in dieser Richtung sind reine Spekulation. Die City brummt? Das Umland stürmt die Läden? Nur Vermutungen und Schätzungen – stichhaltiges Material gibt es für das alles nicht, aber der äußere Eindruck spricht mehr für das Gegenteil: Schrumpfen statt brummen.

Während selbst für Kleinkommunen wie Breckerfeld Umsatzzahlen beispielsweise des verarbeitenden Gewerbes vorliegen, sieht das statistische Landesamt (it.nrw) keinen Sinn darin, Umsätze des Einzelhandels bezogen auf Gebietskörperschaften zu erheben.

Auf Anfrage teilte it.nrw dazu mit: „Dass wir im Bereich des Einzelhandels nicht allmonatlich eine Vollerhebung durchführen können, liegt darin begründet, dass es einfach viel zu viele und auch viele kleinere Unternehmen in diesem Sektor gibt.“

Letztere gibt es allerdings auch im verarbeitenden Gewerbe, vor allem in kleineren Kommunen. Im Unterschied zu diesen setzen die Landesstatistiker interessanterweise beim Handel auf Schnelligkeit: „Die Einzelhandelsstatistik hat einen sehr hohen Stellenwert für die konjunkturelle Beobachtung – von daher ist es hier auch von besonderer Wichtigkeit, dass erste Ergebnisse möglichst schnell vorliegen.“

Und dann folgt der aufschlussreiche Satz: „Von daher ist es auch politisch gewollt, hier nur per Stichprobe zu erheben.“ Das kann im Umkehrschluss nur bedeuten: Es ist politisch nicht gewollt, die abnehmende (oder bestenfalls stagnierende) Kaufkraft in vielen Gemeinden abzubilden.

Das könnte schließlich eine Neigung kommunaler Gremien befördern, Investorenprojekten nicht mehr weiterhin blauäugig zuzustimmen – egal welche negativen Folgen diese nach sich ziehen. Leerstände prägen schon genug das Bild der Stadt und die merkantile Schwindsucht hält an.

Just an dem Tag mit der Hurra-Schlagzeile vom „besten Sonntag aller Zeiten“ auf Seite 3 des Lokalteils erschien auf der ersten Seite eine Anzeige, die in die entgegengesetzte Richtung weist: Der seit Jahrzehnten in der Mittelstraße beheimatete Juwelier Rüschenbeck schließt zum Jahresende seine Pforten.

Eine Antwort to “Merkantile Schwindsucht”

  1. Umleitung: Das Übliche, der Journalismus, die Krawalle in Hamburg, ein undifferenzierter Tweet und mehr … | zoom Says:

    […] Merkantile Schwindsucht: Hagener Einzelhandelsprobleme werden schöngeredet … doppelwacholder […]

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