Nach 30 Jahren: Dietmar Thieser findet seine Tiraden gegen Migranten immer noch gut
Erst vor wenigen Tagen hatte der stellvertretende Lokalchef der WPWR bemängelt, dass nur „alte weiße Männer“ in der Jury zum Seepark säßen. Jetzt bietet der „alte weiße Mann“ Martin Weiske dem noch älteren „weißen Mann“ Dietmar Thieser die ausführliche Gelegenheit, alte Schmonzetten nochmals aufzuwärmen.
Es geht natürlich wieder um, oder genauer: gegen Ausländer im weitesten Sinn. „Die Defizite beim Thema Integration“ seien „fast gleich geblieben“, konstatiert WPWR-Mann Martin Weiske; es sei über drei Jahrzehnte „offenkundig wenig bis nichts“ politisch erreicht worden. „Die Zuwanderungs- und Flüchtlingsproblematik“ sei in „Hotspot-Städten wie Hagen bis heute ungelöst“.
Gettoisierungstendenzen, ethnische Reibereien, Nährboden für Frust und Gewalt, Vernachlässigung von Wohnsubstanz und Quartierskultur, aber auch soziale Spannungen – die Reihe ließe sich fortsetzen, so der Weise aus dem Pressehaus.
Das gibt es natürlich alles, aber ist das spezifisch für Migranten? Eher nicht.
Gettoisierungstendenzen treffen auch auf Villenviertel zu. Ethnische Reibereien existieren durchaus zwischen verschiedenen Gruppen von Zuwanderern – man hat halt immer noch gerne jemanden unter sich. Aber Gewalttätigkeiten wie Morde und Brandanschläge sind in den vergangenen Jahrzehnten im Wesentlichen von eingeborenen Deutschen verübt worden.
Der Nährboden für Frust und Gewalt ist kein Migrantenproblem sondern ein soziales, für das eine Politik verantwortlich ist, die dafür gesorgt hat, das die Kluft zwischen oben und unten immer größer geworden ist. Und die Vernachlässigung von Wohnsubstanz liegt in der Verantwortung der Hauseigentümer, unabhängig von ihrer Herkunft.
„Das Maß ist voll – ich bin es leid!“ So tönte Thieser vor 30 Jahren. Die ungebremste Zuwanderung nach Hagen führe immer wieder zu Konflikten und massivem Unmut in der Bevölkerung. Nach Darstellung der WPWR brachte Alt-OB Dietmar Thieser (SPD) mit dieser Aussage „die sich zuspitzende Situation und Stimmung entlang der Volme auf den Punkt“. Eine Stimmung – und das schreibt das Blatt natürlich nicht -, die von der heimischen Presse kräftig befördert wurde.
Blickt man heute auf die nüchternen Zahlen (ob die damaligen Lautsprecher so nüchtern waren, ist nicht mehr festzustellen), lassen sich keine besonderen Ausschläge erkennen. 1990 betrug der Ausländeranteil an der Hagener Bevölkerung 12,8 Prozent. Im Jahr der Thieser-Sprüche 1993 war er leicht auf 14,0 Prozent gestiegen und 2000 wieder auf 13,8 Prozent zurückgegangen.
Bemerkenswert auch: Die Rechtslage interessierte Thieser nicht. „Der bieder wirkende Genosse“, so damals der Spiegel, verkündete, „dass es einen Aufnahmestopp für Asylbewerber geben müsse, egal, »ob das rechtlich zulässig« sei oder nicht. Und Thieser schob finanzielle Gründe vor: Die Stadt habe »keinen Pfennig mehr« für Neuankömmlinge übrig, sei zu deren Versorgung »auch nicht mehr bereit«.
Von größeren Protesten der provinziellen Westentaschen-Ausgabe des ehemaligen SPD-Rechtsauslegers Thilo Sarrazin (2020 aus der Partei ausgeschlossen) gegen die weit unfangreicheren Lasten, die der Kommune seitens der Bundesgesetzgebung ohne Ausgleichszahlung auferlegt wurden, ist dagegen nichts bekannt. So wie 1993 Thieser dickes Lob von den rechtsextremen Republikanern kassierte, kann er heute mit Zustimmung der AfD rechnen.
„Ich bereue nichts und würde es heute wieder so machen“, zitiert die WPWR den heute 70-Jährigen, und spricht von „Gewaltausbrüchen begleiteten Verwerfungen in Hagen, die in der jüngsten Silvesternacht mal wieder die Stadtgesellschaft erschütterten“.
So sehr die Exzesse zu verurteilen sind, so sehr ist die Berichterstattung darüber völlig maßlos. Nach übereinstimmenden Meldungen (auch der WPWR) handelte es sich um etwa 20 beteiligte Personen, darunter mindestens vier Deutsche mit Migrationshintergrund. Selbst wenn man alle Randalierer der bislang nicht bewiesenen Kategorie „Ausländer“ zuordnen wollte, rechtfertigt das weder das Thieser-Getöse noch die Sensationsberichterstattung der WPWR.
Es leben über 40.000 Ausländer in Hagen, die Deutschen mit Vorfahren in anderen Ländern noch nicht mitgerechnet. 20 Radau-affine machen da gerademal einen Anteil von 0,5 Promille aus, den Grenzwert für Autofahrten unter Alkoholeinfluss. Das ist die Faktenlage, aber ein Provinz-Sarrazin wie Thieser oder eine absterbende Gazette wie die WPWR interessieren sich nicht für Fakten. Sie ähneln darin dem ebenfalls Fakten leugnenden Querdenker-Milieu.
Lautsprecher Dietmar Thieser – und hier kommen wieder die „ethnischen Reibereien“ ins Spiel – ist, quelle surprise, selber geborener Nichtdeutscher, also Migrant. Er kam 1952 im Saarland zur Welt, einem „staatsähnlichen Gebilde“, in dem nicht mit der D-Mark sondern mit Franc bezahlt wurde und das erst 1957 Teil der Bundesrepublik Deutschland wurde.
20. Januar 2023 um 07:22 |
Sehr geehrte Redaktion des Doppelwachhholders,,
Die „nüchternen“ Zahlen machen mich dann doch stutzig: 14%? Hier geht es zur stadtoffiziellen Statistik: https://www.hagen.de/web/de/fachbereiche/fb_32/fb_32_12/fb_32_1201/statistik.html
Freundlich grüßt
P. Müller
20. Januar 2023 um 11:48 |
Genau dort, unter „Deutsche und Ausländer 1984 – 2021„, ist diese Zahl zu finden.