„Außergewöhnliche Standortvoraussetzungen“

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Geplante „Westside“ ist offiziell ausgewiesenes Überflutungsgebiet

Westside Volme nach der Flut

Nach der Flut: Das mitten in der „Westside“ gelegene Flussbett der Volme. Foto: DW.

Die Produktionsstätte des Unternehmens Hagener Feinstahl – geflutet. 200 Fahrzeuge eines Autohändlers – geschrottet. Beschäftigte eines Unternehmens – nach gezwungenermaßen durchwachter Nacht mit Booten evakuiert.

Das sind Meldungen zur Flutkatastrophe allein aus dem Hagener Stadtteil Eckesey. Und die Liste ist keineswegs vollständig. Der Pegel der Volme erreichte in diesem Bereich 4,40 Meter, das sogenannte Mittlere Hochwasser liegt an dieser Stelle normalerweise bei 2,40 Meter.

Nicht weit entfernt von der unfreiwilligen Bootspartie plant die Stadt ein neues Gewerbegebiet namens „Westside“. Ein reichlich hochtrabender Name für eine vergleichsweise bescheidene Fläche im Niemandsland hinter dem Hagener Hauptbahnhof, die aber mit nicht gerade unerheblichem Aufwand erschlossen werden soll.

Ob diese Planung nach den Überschwemmungserfahrungen, die Hagen in der vorletzten Woche machen musste, weiter aufrecht erhalten werden kann, darf in Zweifel gezogen werden. Das Areal liegt unmittelbar am Zusammenfluss von Ennepe und Volme. Der zur Ennepe hin errichtete Damm konnte die Wassermassen noch geradeso bändigen, die Volme flutete hingegen den Bahnsteigtunnel und die Werdestraße (Foto: Deutsche Bahn/Michael Nehaus). Die „Westside“ ist also keineswegs sicheres Gelände.

Das beschreibt auch das „Hochwasserszenario“ der Bezirksregierung Arnsberg in einer Hochwasserrisikokarte. In der „Mittleren Wahrscheinlichkeit“ eines Hochwassers der Kategorie HQ100 wird praktisch die gesamte Fläche als Überflutungszone dargestellt. Es darf als sicher gelten, dass auch potentielle Investoren sich solche Informationen sehr genau ansehen werden.

Dabei sind Neubauten in Überschwemmungsgebieten eigentlich per se untersagt. § 78 des Wasserhaushaltsgesetzes untersagt die Ausweisung neuer Baugebiete in „festgesetzten Überschwemmungsgebieten“. Aber das ist reine Theorie.

Diese von der Landesregierung definierten minimalen Zonen sind selbst von den Szenarien der eigenen Bezirksregierung meilenweit entfernt. Daneben ist auch die grundsätzliche Vorschrift des Gesetzes in zahlreichen Unterpunkten derart durchlöchert, dass es praktisch der Beliebigkeit von Landräten und Oberbürgermeistern ausgeliefert ist.

Und die wollten – zumindest bislang – nicht unbedingt Hochwasserschutz, sondern neue Gewerbegebiete. Gedrängt von Lobbyvertretern der Wirtschaft. So auch in Hagen. Aber wie kam es überhaupt zur „Westside“-Planung?

Um 2005 wurden erste Überlegungen angestellt, den hoffnungslos im Verkehr erstickenden Graf-von-Galen-Ring und dessen Zufahrten durch die sogenannte Bahnhofshinterfahrung zu entlasten. Am Rande der Neutrassierung dieser Straße fielen Restflächen an, die einer wie auch immer gearteten Nutzung zugeführt werden sollten.

Am westlichen Ende, angrenzend an das Areal der ehemaligen Varta, liegt die später von der Verwaltung so getaufte „Bohne“. Schon mit diesem Gelände wussten Planer und Politik nichts rechtes anzufangen, und so wechselten die Ideen schneller, als eine Umsetzung möglich war.

Zunächst wurde eine Wohnbebauung ins Spiel gebracht, danach nichtstörendes Gewerbe. Es folgte die Ansiedlung eines Supermarktes. Nachdem die Seifenblasen zerplatzt waren, wurde schließlich eine Grünfläche angelegt, arrondiert mit einer geradezu „kongenialen“ Kombination aus Spielflächen für Kinder und Jugendliche mit einem überdachten Treffpunkt für Alkohol- und Drogenabhängige.

Ein paar Meter weiter, neben dem Sitz der Hagener Volkshochschule in der Villa Post, tat sich die nächste Restfläche auf. Eine gute Gelegenheit, den mit Cadmium verseuchten Boden, der auf dem ehemaligen Varta-Gelände anfiel, preisgünstig verschwinden zu lassen. Zu diesem Zwecke errichteten die Bauherrin – also die Stadt – ein sogenanntes „Landschaftsbauwerk“, in dem ein Teil des Giftmülls unter einer Grasnarbe verschwand. Den Rest hatte man parallel in die Lärmschutzwand an der „Bohne“ eingearbeitet.

Eine mögliche Nutzung der Fläche zwischen Hauptbahnhof und Bahnhofshinterfahrung findet erstmals 2010 Erwähnung. Nachdem Rats- und Ausschussmitglieder zunächst mit einer angeblich zur Verfügung stehenden Gewerbefläche von 80.000 Quadratmetern angefüttert wurden, um ihnen vermeintlich großartige Entwicklungsmöglichkeiten schmackhaft zu machen, schrumpfte die „Westside“ später auf nur noch 26.600 Quadratmeter (Skizze: Stadt Hagen).

Ende 2017 waren dann etwa 20.000 Quadratmeter übrig geblieben, also nur ein Viertel der ursprünglich vollmundig ins Feld geführten Fläche.

Westside Flaechenberechnung_Gewerbeflaechen_westl Hbf pdf

Diese Restfläche wurde an bester Verwaltungsprosa angepriesen:

„Die „Westside HBF“ profitiert von ihrer einmaligen Lagegunst. Unmittelbar am Innenstadtrand gelegen, doch zugleich von hohem landschaftlichen Reiz – am Fuß der Phillipshöhe mit ihren Wäldern, Gärten und Aussichtswegen und dem Lauf der Ennepe bis zum Zusammenfluss mit der Volme folgend – bietet sie sowohl Urbanität und Stadtkultur als auch Wasserlagen und Naturerlebnis. So ist die „Westside HBF“ nicht nur eine funktionale und gestalterische Stärkung der Innenstadt sondern auch der angrenzenden Stadtteile Altenhagen und Wehringhausen.“

Träume sollten wahr werden: „Überregional bekannte Hagener Unternehmen, die einen großen Wert auf Präsentation und sehr gute Erreichbarkeit legen, könnten dort ihre Hauptverwaltungen ansiedeln.“ Von „außergewöhnlichen Standortvoraussetzungen“ war die Rede, die „die Entwicklungsperspektiven für diesen städtischen Raum in ein besonderes Spannungsfeld“ stellen.

Nun, von alledem ist bis heute nicht viel zu sehen. Und welches „überregional bekannte Hagener Unternehmen“ sollte nach den jüngsten Erfahrungen noch den Drang verspüren, sich in einem regierungsamtlich ausgewiesenen Überflutungsgebiet anzusiedeln?

Begriffe wie „Hochwasser“ finden sich übrigens in keiner der zahlreichen Verwaltungsvorlagen zur „Westside“. Das Wort von der „einmaligen Lagegunst“ in einem „besonderen Spannungsfeld“ gewinnt hingegen eine ganz neue Bedeutung.

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