Teure Atom-Abenteuer reichen bis in die Zukunft
In diesen Tagen jährt sich die Atomkatastrophe von Tschernobyl zum 30. Mal, vor gut fünf Jahren havarierte das Atomkraftwerk im japanischen Fukushima. Aktuell stehen die maroden Meiler an den belgischen Standorten Doel und Tirange in der Kritik. Aber auch Hagen spielte eine nicht unbedeutende Rolle in der Verbreitung dieser mörderischen Technologie, die die Bürger der Volmestadt noch teuer zu stehen kommen wird.
Es war die Zeit des Kalten Krieges. Von regierungsamtlicher Seite wurde den Menschen erzählt, gegen die Folgen einer Atombombe könne man sich mit einer Aktentasche über dem Kopf schützen. Da lag es nahe, auch an eine „friedliche“ Nutzung der Kernenergie zu glauben.
In diesen Jahren, genau 1959, erreichte der „Fortschritt“ auch Hagen. Das Kommunale Elektrizitätswerk Mark, besser bekannt als Elektromark und ein Vorläufer der heutigen Problemzone Enervie, gründete gemeinsam mit 14 anderen Energieunternehmen die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor (AVR).
Die Anlage steht in Jülich unmittelbar neben dem Gelände des Forschungszentrums und wurde von 1966 bis 1988 betrieben. Es traten mehrere Pannen und Störfälle auf, Kritiker sehen Indizien, dass der Reaktor sogar havariert ist. Der AVR-Betrieb und mögliche Gefährdungen beim Betrieb wurden 2011 bis 2014 von externen Experten untersucht; laut Abschlussbericht vom April 2014 gab es gravierende verheimlichte Probleme und Fehlverhalten.
Der Rückbau des AVR gilt als außergewöhnlich schwierig, langwierig und teuer. Aber Elektromark bzw. Rechtsnachfolger Enervie hatten viel Glück.
Da die Betreiber sich überfordert zeigten, werden Rückbau und Entsorgung von staatlichen Stellen in Auftrag gegeben und bezahlt. 2003 wurde die öffentliche Hand auch formal Eigentümer des AVR und seines Atommülls. Damit waren die Hagener finanziell aus dem Schneider.
Im Januar 1968 wurden beim Bau des AKW Würgassen erste Proteste laut. Ein SPD-Politiker namens Prof. Karl Bechert forderte: „Die Bevölkerung muss aufstehen wie ein Mann.“ Das hinderte die Elektromark allerdings nicht daran, in das nächste Atomabenteuer einzusteigen.
In jenem Jahr gründete der Stromversorger wiederum gemeinsam mit anderen Elektrizitätsunternehmen die Hochtemperatur-Kernkraftwerks-GmbH, die einen 300 MW-Reaktor bauen und betreiben sollte. Die Gründungsversammlung fand übrigens in Hagen statt.
Im Mai 1971 wurde die erste Teilerrichtungsgenehmigung erteilt und im November 1985 wurde der „THTR 300“ genannte Reaktor in Hamm-Uentrop im Betrieb genommen. Das Glück währte allerdings nicht lange: Nach nur 423 Betriebstagen wurde der THTR wegen „Kinderkrankheiten“ vom Netz genommen und 1989 endgültig stillgelegt.
Zu diesem Zeitpunkt lief Abenteuer Nummer 3 bereits auf vollen Touren: das Kernkraftwerk Emsland in Lingen.
Nach der Ölkrise im Jahr 1973 warb Elektromark-Vorstand Hecker weiter für die Nutzung der Atomkraft. Das war das Jahr, in dem 500 Traktoren durch den Kaiserstuhl rollten und die Bevölkerung alarmiert war: In Wyhl, mitten im Weinanbaugebiet, war ein Atomkraftwerk geplant.
Hecker argumentierte auf der Hauptversammlung gegenüber den Aktionären, die Elektromark fühle sich als Stromerzeuger durch den von der Bundesregierung angestrebten Ausbau der Kernenergie in der Pflicht – so der Geschäftsbericht – „weil nach dem heutigen Stand der Technik die Kernenergie ihren wachsenden Beitrag zur Energieversorgung nur über die Umsetzung in elektrische Energie leisten kann.“
1975 gründete Elektromark gemeinsam mit den Vereinigten Elektrizitätswerken (VEW) die Kernkraftwerk Hamm GmbH, um einen 1300-MV-Druckwasserreaktor zu bauen. Elektromark hielt an der Gesellschaft einen Anteil von 26 Prozent, das bis dato größte Finanzvolumen für ein Einzelprojekt des Energieversorgers.
Aber die Genehmigung kam nicht so recht voran. Die Elektromark machte dafür „die Einstellung der Landesregierung“ verantwortlich, die von der SPD geführt wurde. Also wich man nach Niedersachsen aus, wo unter der CDU-Regierung des Ministerpräsidenten Ernst Albrecht ein atomgünstigeres Klima herrschte.
1982 wurde die Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH gegründet, im April 1988 ging das AKW Emsland ans Netz. Elektromark hielt eine Beteiligung von 25 Prozent und hatte sich damit wirtschaftlich verhoben, zu viel Kapital war ans Atom gebunden.
Daher beschloss der Aufsichtsrat im Dezember 1993 einschneidende Maßnahmen zur Umstrukturierung des Unternehmens. Dazu gehörte vor allem der Verkauf der Beteiligung am AKW Emsland. Damit waren auch die Kosten für Stilllegung und Entsorgung des Meilers vom Tisch.
In der Folge wurden RWE und VEW mit 20 Prozent des Aktienkapitals Anteilseigner des Hagener Energieversorgers. Möglich wurde diese Veränderung, weil die Stadt Hagen einen Teil ihrer Aktien verkaufte.
Während die Elektromark aus den Abenteuern Jülich und Lingen mit einem blauen Auge davon kam, klebt der Nachfolgerin Enervie Hamm-Uentrop weiter an der Backe. Genauer betrachtet natürlich nicht Enervie, sondern deren Kunden – vielleicht sogar allen Bürgern dieses Landes.
Enervie ist weiter Gesellschafterin der Betreibergesellschaft des seit mehr als einem Vierteljahrhundert stillgelegten Atommeilers (mehr dazu in unserem Beitrag vom Dezember 2015: „Eingekapselt und vergessen“). Die eher konservativen Schätzungen der Kosten für Abriss und Entsorgung liegen bei 1 Milliarde Euro, der Enervie-Anteil liegt bei 26 Prozent.
Für 260 Millionen Euro hätte man die marode Elektrobude vielleicht doch besser in die Insolvenz schicken sollen.
25. April 2016 um 15:05 |
Also, wenn Hagener Kommunalpolitiker „bundesweit“ oder „landesweit“ mitmischen, kommt es auch fianziell auf „Kannonenfutter“ hinaus und auch moralisch wird Hagen korrumpiert (Radioaktivität ist immer schon tödlich gewesen).