Rückblende: Die Welt der WAZ in Hagen 1976

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Die aktuellen „Bereinigungen“ im Bereich des WAZ-Imperiums sind keine Erscheinungen der Neuzeit. Schon Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden „Ein-Zeitungskreise“ geschaffen.

So stellten die Ausgaben der Westdeutschen Zeitung im südlichen Ennepe-Ruhr-Kreis den Betrieb ein, im Gegenzug zog sich das WAZ-Blatt NRZ aus Wuppertal zurück und überließ dem WZ-Medium Generalanzeiger das Feld. Und das waren nicht die einzigen Maßnahmen der Gebietsbereinigung und Monopolisierung der Zeitungslandschaft.

Auch in Hagen drohte schon damals die „Einheitszeitung“, die dann (wenigstens in der jetzigen Form) doch nicht kam – nun soll die alte Befürchtung zum 1. Februar wahr werden.

Bereits im Juni 1975 war es zu Kampfmaßnahmen („wilde“ Streiks) der Belegschaft der damaligen WP-Druckerei Westdruck in HA-Bathey gekommen, in deren Folge u.a. der Betriebsratsvorsitzende Horst Wisotzki, der spätere Bezirksvorsteher von HA-Haspe, rausgeworfen wurde.

Die Umwälzungen in der Hagener Presselandschaft waren 1976 Anlass für die Gründung des Hagener VolksBlatts, das sich denn auch gleich in seiner ersten Ausgabe mit genau diesem Thema beschäftigte. DOPPELWACHOLDER.DE dokumentiert diesen Beitrag aus dem Jahre 1976.

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Holzhaltiges Papier vergilbt mit der Zeit, der Inhalt wird manchmal unverhofft wieder aktuell: Titel des Hagener VolksBlatts vom November 1976.

Grotkamp bietet vierfach alles unter einem Dach

Ist Hagen bald Ein-Zeitungs-Kreis?

Ein  Gespenst geht um in Hagen, das Gespenst der Pressekonzentration.

Noch nie war die Meinungsvielfalt in dieser Stadt so bedroht wie heute. Der Zeitungsmarkt, auf dem sich vor wenigen Jahren drei Blätter, Westfalenpost, Westfälische Rundschau und Hasper Zeitung, um Vormacht oder ums Überleben stritten, ist mittlerweile fest in einer Hand: Der WAZ-Konzern, vor Jahren schon aus Hagen verdrängt, hat verlorenes Terrain zurückerobert und besitzt in Hagen durch die Übernahme der Mehrheitsanteile an Westfalenpost (WP) und Westfälischer Rundschau (WR) nun eine absolute Monopolstellung. Er hat WP und WR unter seinem Dach vereinigt.

Die Einnahmen aus Abonnements und Anzeigengeschäft fließen in eine Kasse. Die Zukunftsperspektiven für Hagens „schwarzes Gewerbe“ sind in der Tat schwarz. Mittelfristig steht zunächst eine Zusammenlegung der Lokalteile von WP und WR zu erwarten, langfristig droht den 230.000 Hagener Bürgern die Einheitszeitung.

Längst ist in deutschen Landen, wie die Erfahrung lehrt, das grundgesetzlich garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild (Art. 5 GG) zu einem Privileg für wenige kapitalstarke Zeitungseigner geworden, die dem Bürger ein Recht auf hinreichende Information nicht einzugestehen bereit sind. Die Bundesbürger, zum Teil als Reichsbürger bereits an die Einheitspresse gewöhnt, nehmen von der neuen Entwicklung offenbar kaum Notiz. Nicht einmal jene Institutionen, die dazu geschaffen wurden, zur Sicherung demokratischer Zustände eine Kontrollfunktion auszuüben. So hat sich in den letzten Jahren der Blätterwald besonders stark gelichtet und an vielen Stellen droht bereits der Kahlschlag. Heftig wütete die Konzentration vor allem in den Großkommunen, in Hannover, Bremen und Stuttgart fusionierten die Verlage eifrig.

An Rhein und Ruhr, der bisher vielfältigsten Zeitungsregion, entstand mit der „WAZ-Gruppe“ ein Gigant von fast Springer’schen Dimensionen: Die als Kooperation getarnte heimliche Machtübernahme bei Westfälischer Rundschau, Neuer Rhein/Ruhr Zeitung (NRZ) und Westfalenpost hat ein Presseimperium hervorgebracht, das räumlich von der niederländischen bis zur hessischen Grenze reicht. Mit einer Gesamtauflage von ungefähr 1,1 Millionen Exemplaren täglich „versorgt“ der Gigant etwas über drei Millionen Zeitungsleser.

Rigoros hat WAZ-Verlagsmanager Günter Grotkamp die erworbenen Blätter nach Rationalisierungsmöglichkeiten durchforstet und ist dabei fündig geworden: Vornehmlich in den Bereichen Technik und Vertrieb sind Arbeitsplätze verlorengegangen.

Eine insgesamt geringere Anzahl von Druckern stellt die Zeitungen her, weniger Vertriebsangestellte stellen sie dem Leser zu. Weniger Beschäftigte bedeuten für den Konzern geringere Lohnkosten. Mehr Profit erzielt das konzentrierte Presseunternehmen aber auch durch Vormacht- und Monopolstellung auf dem Anzeigenmarkt. Während beispielsweise in Hagen früher der Inserent seine Offerte nach Gunst und Geldbeutel auf eines oder zwei Blätter verteilen durfte, ist er nunmehr gezwungen, beiden Blättern den Auftrag zu erteilen oder überhaupt nicht zu inserieren.

Ein weiterer Zugewinn fällt für den Konzern dadurch ab, dass er eine Anzeigenseite, die in zwei Zeitungen erscheint, nur einmal produzieren muss.

Ein Anzeichen dafür, dass Konzern-Geburtshelfer Günter Grotkamp sein Rationalisierungskonzept auch im redaktionellen Bereich in absehbarer Zeit anwenden wird, ist eine Ankündigung, die die Essener Kommandozentrale vor kurzer Zeit sogar über Äther verbreiten ließ: Ab Januar nächsten Jahres erscheint in allen vier Ausgaben der WAZ-Gruppe eine einheitliche Sonntagsbeilage. Gleichlautend ist bereits in WAZ, WR und WP die Rubrik Reisen.

Was Grotkamp still plant, hat der Chefredakteur der „Allgemeinen“, S. Maruhn, schon vor längerer Zeit publik gemacht. Im Verlegerblatt „ZV+ZV“ schrieb er etwa sinngemäß, es sei nicht einzusehen, dass verschiedene Zeitungen auch über verschiedene Rotationsmaschinen laufen und von verschiedenen Vertriebsorganisationen dem Leser ins Haus gebracht werden müssten. Wenn man so will, ist es auch nicht einsichtig, dass in einer Stadt zwei verschiedene Redakteure über die gleiche Sache berichten und zwei Fotografen dazu die Bilder schießen.

Dass es, zumindest im Lokalteil, auch anders geht, hat die WAZ inzwischen längst bewiesen: In Revierstädten nämlich, wo WR und WAZ gleichzeitig herauskommen und oft keine Konkurrenz auf dem Markt mitmischt, wird der Leser auf Einheitskost gesetzt; die Heimatnachrichten sind in Wort und Bild ein und dieselben. Haargenau das gleiche Prinzip ist auf Hagen übertragbar. Hier besitzen die beiden WAZ-Töchter 100 Prozent Marktanteil.

Gleich sind in etwa auch die Erfahrungen, die die Beschäftigten der kleineren „Kooperationsbetriebe“ im großen Verbund zu machen hatten: Während das ehemals SPD-eigene Blatt „Westfälische Rundschau“ seine Belegschaft in die bereits beschlossene Sache immerhin einweihte, stritt WP-Verleger Dr. Sträter bis zuletzt eine Beteiligung der WAZ an seinem Unternehmen ab. Er drohte gar noch mit gerichtlichen Schritten, als sich die Essener bereits die Mehrheit der Anteile gesichert hatten und Herr im Hause Sträter waren. Die Wahrheit erfuhr die WP-Belegschaft schließlich über Rundfunk.

Nach Dementis folgten nun Beschwichtigungen. Die Nacht-und-Nebel-Aktion wurde sogar als verlegerische Großtat gepriesen, etwa so: Durch die Kooperation sei der Fortbestand des Verlages gesichert, mithin also Arbeitsplätze gesichert und erhalten worden.

Die Entwicklung strafte dann solche Behauptungen Lügen. Kurze Zeit nach Bekanntwerden des Abkommens wurden auch die ersten Kündigungen verschickt. Ein Dorn im Auge der Verlagsstrategen war dabei insbesondere die gewerkschaftlich hochprozentig organisierte Westfalenpost-Tochtergesellschaft Westdruck, der technische Betrieb des Unternehmens. Harte Auseinandersetzungen innerhalb der Belegschaft löste vor allem die Kündigung führender Betriebsratsmitglieder aus, die unter dem Vorwand auf die Straße geschickt wurden, sie hätten ihrem Betrieb dadurch geschadet, dass sie Gerüchte verbreitet hätten, der Verlag befinde sich in Zahlungsschwierigkeiten.

Zwar erreichten die gekündigten Betriebsratsmitglieder, an der Spitze Betriebsratsvorsitzender Horst Wisotzki, in mehreren Verfahren vor dem Arbeitsgericht ihre Wiedereinstellung. Der Konzern freilich fand einen Ausweg: Er ließ das Unternehmen Westdruck sterben.

Die technische Herstellung der WP-Ausgaben wurde nach Dortmund verlagert. Im neuen Druckhaus in Bathey, das der Konzern ausbauen ließ, werden künftig nur noch Zeitungen gedruckt. Von der Westdruck-Stillegung sind noch jetzt zahlreiche Arbeitnehmer betroffen. Sie müssen entweder zu weitentfernten Arbeitsplätzen fahren oder haben noch immer keine neue Arbeit gefunden.

Einige sind nach Dortmund übernommen worden. Sie mussten freilich eine Kürzung ihrer bisherigen Bezüge hinnehmen. Vor die Alternative gestellt, die neudiktierten Bedingungen zu akzeptieren oder erwerbslos zu werden, gaben vor allem ortsgebundene Arbeitnehmer nach.

Wie geschickt es das Essener Management verstanden hat, Beschäftigte gegeneinander auszuspielen, hat der Druckerstreik bei Westdruck im Sommer 1975 exemplarisch gezeigt. Damals legte die Belegschaft in Bathey nach der Kündigung ihres Betriebsrats spontan die Arbeit nieder.

In Sorge um ihre Arbeitsplätze waren die Dortmunder Setzer und Drucker nicht zu einem Solidaritätsstreik bereit, der die Ausgaben der gesamten Westfälischen Rundschau und der Westfalenpost lahmgelegt hätte. So holte Essen zum Gegenschlag aus: Die auflagenstärksten Ausgaben der WP wurden in Dortmund hergestellt, ein Grund für den Konzern, später zu behaupten, die Kapazitäten in Bathey seien nicht voll belastet.

Durch weitere Rationalisierungen war es dann später möglich, den Westdruck aufzulösen.

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